Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 508

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so gut wie unberührt geblieben. Es wäre ein Wahn, den Sozialismus ohne Landwirtschaft zu verwirklichen. Vom Standpunkt der sozialistischen Wirtschaft läßt sich überhaupt die Industrie gar nicht umgestalten ohne die unmittelbare Verquickung mit einer sozialistisch umorganisierten Landwirtschaft. Der wichtigste Gedanke der sozialistischen Wirtschaftsordnung ist Aufhebung des Gegensatzes und der Trennung zwischen Stadt und Land. Diese Trennung, dieser Widerspruch, dieser Gegensatz ist eine rein kapitalistische Erscheinung, die sofort aufgehoben werden muß, wenn wir uns auf den sozialistischen Standpunkt stellen. Wenn wir Ernst machen wollen mit einer sozialistischen Umgestaltung, müssen Sie Ihr Augenmerk ebenso auf das flache Land richten wie auf die Industriezentren, und hier sind wir leider noch nicht einmal beim Anfang des Anfangs. Es muß jetzt Ernst damit gemacht werden, nicht bloß aus dem Gesichtspunkt heraus, weil wir ohne Landwirtschaft nicht sozialisieren können, sondern auch, weil, wenn wir jetzt die letzten Reserven der Gegenrevolution gegen uns und unsere Bestrebungen aufgezählt haben, wir eine wichtige Reserve noch nicht aufgezählt haben, das Bauerntum. Gerade, weil es bis jetzt unberührt geblieben ist, ist es noch eine Reserve für die konterrevolutionäre Bourgeoisie. Und das erste, was sie tun wird, wenn die Flamme des sozialistischen Streiks ihr auf den Fersen brennt, ist die Mobilisierung des Bauerntums, des fanatischsten Anhängers des Privateigentums. Gegen diese drohende konterrevolutionäre Macht gibt es kein anderes Mittel, als den Klassenkampf aufs Land hinauszutragen, gegen das Bauerntum das landlose Proletariat und das Kleinbauerntum mobil zu machen. („Bravo!” und Händeklatschen.)

Daraus ergibt sich, was wir zu tun haben, um die Voraussetzungen des Gelingens der Revolution zu sichern, und ich möchte unsere nächsten Aufgaben deshalb dahin zusammenfassen: Wir müssen vor allen Dingen das System der Arbeiter- und Soldatenräte, in der Hauptsache das System der Arbeiterräte in der Zukunft ausbauen, nach allen Richtungen hin. Was wir am 9. November übernommen haben, sind nur schwache Anfänge und nicht bloß das. Wir haben in der ersten Phase der Revolution sogar große Machtmittel wieder verloren. Sie wissen, daß ein fortgesetzter Abbau des Arbeiter- und Soldatenrätesystems durch die Gegenrevolution vorgenommen worden ist. In Hessen sind die Arbeiter- und Soldatenräte durch die konterrevolutionäre Regierung überhaupt aufgehoben worden, an anderen Stellen werden ihnen die Machtmittel aus der Hand gerissen. Wir müssen deshalb nicht bloß das Arbeiter- und Soldatenrätesystem ausbauen, sondern auch die Landarbeiter und Kleinbauern in dieses System der Räte

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