Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 500

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jedem Tage mehr den Rückhalt in den großen Massen des Proletariats, es sind neben dem Kleinbürgertum nur noch Reste, traurige Reste der Proletarier, die hinter ihr stehen, von denen es aber sehr unklar ist, wie lange sie noch hinter Ebert–Scheidemann stehen werden. Sie werden immer mehr den Rückhalt in den Soldatenmassen verlieren, denn die Soldaten haben sich auf den Weg der Kritik, der Selbstbesinnung begeben, ein Prozeß, der zwar vorerst noch langsam geht, jedoch keinen Halt machen kann bis zur vollen sozialistischen Erkenntnis. Sie haben den Kredit verloren bei der Bourgeoisie, weil sie sich nicht stark genug erwiesen. Wo kann also ihr Weg weitergehen? Mit der Komödie der sozialistischen Politik werden sie sehr schnell völlig aufräumen; und wenn Sie das neue Programm dieser Herren lesen, dann werden Sie sehen, daß sie in die zweite Phase – die der entschleierten Konterrevolution, ja, ich möchte das formulieren: in die Restauration der früheren, vorrevolutionären Verhältnisse mit Volldampf hinaussegeln. Was ist das Programm der neuen Regierung? Es ist die Wahl eines Präsidenten, der eine Mittelstellung zwischen dem englischen König und dem amerikanischen Präsidenten hat („Sehr gut!”), also beinahe ein König Ebert; und zweitens Wiederherstellung des Bundesrats. Sie konnten heute die selbständig gestellten Forderungen der süddeutschen Regierungen lesen, die den bundesstaatlichen Charakter des Deutschen Reiches unterstreichen.[1] Die Wiederherstellung des alten braven Bundesrats und natürlich seines Anhängsels, des deutschen Reichstags, ist nur noch eine Frage von wenigen Wochen. Parteigenossen, die Ebert–Scheidemann begeben sich damit auf die Linie der einfachen Restauration der Verhältnisse, wie sie vor dem 9. November bestanden. Aber damit haben sie sich selbst auf eine schiefe Ebene begeben, um mit zerschmetterten Gliedern auf dem Boden des Abgrunds liegenzubleiben. Denn die Wiederaufrichtung der Verhältnisse vor dem 9. November war schon am 9. November überholt, und heute ist Deutschland meilenweit von dieser Möglichkeit entfernt. Die Regierung wird, um ihren Rückhalt bei der einzigen Klasse, deren wirkliche Klasseninteressen sie vertritt, bei der Bourgeoisie, zu stärken – den Rückhalt, der ja durch die letzten Vorgänge

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[1] Die Vertreter der Regierungen von Baden. Bayern. Hessen und Württemberg hatten am 27.128. Dezember 1918 in Stuttgart folgende Forderungen aufgestellt: 1. Neueinrichtung des Deutschen Reiches auf bundesstaatlicher Grundlage; 2. Schaffung einer aktionsfähigen Reichsregierung und Nationalversammlung; 3. schleunigste Herbeiführung des Friedens far das Deutsche Reich. Ausdrücklich batten sie sich gegen eine ausschließliche Zentralregierung ausgesprochen, durch die die Landesregierungen zu Provinzialverwaltungen herabgedrückt werden warden, und verlangt, an den Verhandlungen mit den USA Ober Lebensmittellieferungen durch eine gemeinsame Vertretung teilzunehmen.