Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 499

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Ebert–Scheidemann–Haase die ganze sozialistische Revolution in Deutschland um ihre Ziele zu betrügen. Es ist nichts als negatives Konto, lauter Fetzen von vernichteten Illusionen. Aber gerade daß nur solche zerrissenen Fetzen nach der ersten Phase der Revolution zurückbleiben, ist für das Proletariat der größte Gewinn; denn es gibt nichts, was der Revolution so schädlich ist als Illusionen, es gibt nichts, was ihr so nützlich ist wie die klare, offene Wahrheit. Ich kann mich da auf die Meinung eines Klassikers des deutschen Geistes berufen, der kein Revolutionär des Proletariats, aber ein geistiger Revolutionär der Bourgeoisie war: Ich meine Lessing, der in einer seiner letzten Schriften als Bibliothekar in Wolfenbüttel die folgenden, für mich sehr interessanten und sympathischen Sätze geschrieben hat: „Ich weiß nicht, ob es Pflicht ist, Glück und Leben der Wahrheit aufzuopfern … Aber das, weiß ich, ist Pflicht, wenn man Wahrheit lehren will, sie ganz, oder gar nicht, zu lehren; sie klar und rund, ohne Rätsel, ohne Zurückhaltung, ohne Mißtrauen in ihre Kraft und Nützlichkeit, zu lehren … Denn je gröber der Irrtum, desto kürzer und gerader der Weg zur Wahrheit: dahingegen der verfeinerte Irrtum uns auf ewig von der Wahrheit entfernt halten kann, je schwerer uns einleuchtet, daß er Irrtum ist … wer nur darauf denkt, die Wahrheit unter allerlei Larven und Schminke an den Mann zu bringen, der möchte wohl gern ihr Kuppler sein, nur ihr Liebhaber ist er nie gewesen.”

Parteigenossen, die Herren Haase, Dittmann usw. haben unter allerlei Larven und Schminken die Revolution, die sozialistische Ware an den Mann bringen wollen, sie haben sich als Kuppler der Konterrevolution erwiesen: Heute sind wir frei von diesen Zweideutigkeiten, die Ware steht vor der Masse des deutschen Volkes in der brutalen, vierschrötigen Gestalt der Herren Ebert und Scheidemann da. Heute kann auch der Blödeste nicht verkennen: Das ist Konterrevolution, wie sie leibt und lebt.

Was ergibt sich nun als weitere Perspektive der Entwicklung, nachdem wir ihre erste Phase hinter uns haben? Selbstverständlich kann es sich nicht darum handeln zu prophezeien, sondern nur darum, die logischen Konsequenzen aus dem bisher Erlebten zu ziehen und auf die voraussichtlichen Wege der bevorstehenden Entwicklung zu schließen, um danach unsere Taktik, unsere eigene Kampfesweise zu richten. Parteigenossen, wohin führt der Weg weiter? Eine gewisse Andeutung darüber haben Sie schon in den letzten Äußerungen der neuen Regierung Ebert–Scheidemann in reiner, unverfälschter Couleur. Wohin kann sich der Kurs der sogenannten sozialistischen Regierung bewegen, nachdem, wie ich gezeigt habe, sämtliche Illusionen verschwunden sind? Diese Regierung verliert mit

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