Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 425

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tischen Aufgabe des Tages, die schärfste, unerbittlichste Scheidung zwischen dem Lager des revolutionären Proletariats und offenen wie verkappten Feinden der Revolution und des Sozialismus zur höchsten Pflicht macht, beeilte sich die Unabhängige Partei, in ein politisches Kompaniegeschäft mit den gefährlichsten Vorposten der Gegenrevolution zu treten, die Massen zu verwirren und die Verrätereien zu erleichtern.

Ihre eigentliche Mission als Teilhaberin der Firma Scheidemann–Ebert ist: deren klaren und unzweideutigen Charakter als Schutztruppe der bürgerlichen Klassenherrschaft in ein System von Zweideutigkeiten und Feigheiten zu mystifizieren.

Den klassischsten Ausdruck findet diese Rolle der Haase und Genossen in ihrer Haltung zur wichtigsten Losung des Tages, zur Nationalversammlung.

Zwei Standpunkte allein sind in dieser Frage wie in allen anderen möglich. Entweder will man die Nationalversammlung als ein Mittel, das Proletariat um seine Macht zu prellen, seine Klassenenergie zu paralysieren, seine sozialistischen Endziele in blauen Dunst aufzulösen, oder man will die ganze Macht in die Hand des Proletariats legen, die begonnene Revolution zum gewaltigen Klassenkampf um die sozialistische Gesellschaftsordnung entfalten und zu diesem Zwecke die politische Herrschaft der großen Masse der Arbeitenden, die Diktatur der Arbeiter- und Soldatenräte errichten. Für oder gegen den Sozialismus, gegen oder für die Nationalversammlung, ein Drittes gibt es nicht.

Die Unabhängige Partei bemüht sich auch hier krampfhaft, Berg und Tal zusammenzubringen, Feuer und Wasser im Namen der „Einigkeit” zu vereinen. Sie will die Nationalversammlung als höchste richtende und entscheidende Instanz, sie will aber diese Nationalversammlung möglichst hinausschieben und vorher durch diktatorische Maßnahmen der jetzigen Regierung die Sozialisierung in den Grundzügen verwirklichen.

Die gewundene Mittelstellung läuft, wie immer, auf eine Zweideutigkeit, ja auf eine politische Unehrlichkeit hinaus. Entweder meint man es mit der Nationalversammlung als der berufenen entscheidenden Vertretung des Volkes ehrlich, dann wird sich verbieten, daß diese oberste Instanz vor fertige Tatsachen gestellt, hinter den Wagen der wichtigsten sozialen Umwälzungen gespannt wird. Oder aber meint man es mit der sozialistischen Diktatur des Proletariats ehrlich, dann schiebt man sie nicht als Provisorium zwischen Tür und Angel der Revolutionsgeschichte ein

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