Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 421

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in der Juli- und der Februarrevolution wie in Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien. Jede große soziale Erschütterung ruft naturgemäß aus dem Boden einer auf Ausbeutung und Unterdrückung gegründeten Gesellschaft heftige Klassenkämpfe hervor. Solange die bürgerliche Klassengesellschaft im Gleichgewicht ihres parlamentarischen Alltags verharrt, geht auch der Proletarier geduldig in der Tretmühle des Lohnverhältnisses, und seine Streiks haben dann nur den Charakter schwacher Korrekturen an der als unerschütterlich geltenden Lohnsklaverei.

Sobald das Gleichgewicht der Klassen durch einen revolutionären Sturm ausgerenkt ist, schlagen die Streiks aus sanftem Wellenspiel der Oberfläche in drohende Sturzwellen um; die Tiefe selbst kommt in Bewegung, der Sklave begehrt nicht bloß gegen den zu schmerzlichen Druck der Kette auf, er rebelliert gegen die Kette selbst.

So in allen bisherigen bürgerlichen Revolutionen. Mit dem Ausgang der Revolutionen, die stets zur Befestigung der bürgerlichen Klassengesellschaft führen, pflegte auch die proletarische Sklavenrebellion in sich zusammenzufallen, der Proletarier kehrte mit gesenktem Haupte in die Tretmühle zurück.

In der heutigen Revolution sind die eben ausgebrochenen Streiks keine „gewerkschaftliche” Auseinandersetzung um Lappalien, um das Drum und Dran des Lohnverhältnisses. Sie sind die natürliche Antwort der Massen auf die gewaltige Erschütterung, die das Kapitalsverhältnis durch den Zusammenbruch des deutschen Imperialismus und die kurze politisdie Revolution der Arbeiter und Soldaten erfahren hat. Sie sind der erste Anfang einer Generalauseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in Deutschland, sie läuten den Beginn des gewaltigen direkten Klassenkampfes ein, dessen Ausgang kein anderer als die Beseitigung des Lohnverhältnisses und Einführung der sozialistischen Wirtschaft sein kann. Sie lösen die lebendige soziale Kraft der gegenwärtigen Revolution aus: die revolutionäre Klassenenergie der proletarischen Massen. Sie eröffnen die Periode der unmittelbaren Aktivität der breitesten Massen, jener Aktivität, zu der die Sozialisierungsdekrete und Maßnahmen irgendwelcher Vertretungskörperschaften oder der Regierung nur die Begleitmusik bilden können.

Diese beginnende Streikbewegung ist zugleich die lapidarste Kritik der Masse auf die Chimäre ihrer sogenannten „Führer” über die „Nationalversammlung”. Sie haben ja schon die „Majorität”, die streikenden Proletarier in den Fabriken und Gruben! Die Tölpel! Warum laden sie nicht ihren Unternehmer zu einer kleinen „Debatte” ein, um ihn dann durch „erdrückende Mehrheit” zu überstimmen und all ihre Forderungen glatt und

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