Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 39

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seinem Dühring einst auseinandergesetzt hat – auf großen historischen Strecken gleichfalls ein ökonomischer Faktor und hat ihre Wurzeln in ökonomischen Notwendigkeiten. Kautsky vergißt ferner, daß „die Methode” des Imperialismus, die er als höchst äußerliches garstiges Beiwerk des heutigen Kapitalismus abschaffen will, für diesen wesentlich ist. Er sieht nämlich, wenn er von der Gewaltsamkeit der imperialistischen Methoden spricht, selbst nur die äußere geräuschvolle, kriegerische Erscheinung des Imperialismus. Er vergißt, daß das, was ihm als die „friedliche” und „demokratische” Kapitalexpansion besser gefällt: die Eisenbahnbauten und .die Einführung des Warenhandels in zurückgebliebenen Ländern, daß dieser Prozeß gleichfalls, nur im stillen, von einem fortlaufenden gewaltsamen Zusammenbruch der vorhandenen sozialen Organisation unter unaufhörlichen gewaltsamen Eingriffen des Staates begleitet wird. Er vergißt vollständig, daß auch der englische Freihandel, dessen Großtaten in China er in Gegensatz zum Imperialismus stellt und preist, sich die „offenen Türen” am Gelben Meer mit Kanonenschlünden und Greueltaten des Krieges wie mit zahllosen stilleren Gewaltstreichen des Raubs und Betrugs von 1839 bis 1900 geschlagen hat. Mit einem Wort, die ganze Kautskysche Unterscheidung des legitimen ökonomischen Kerns und der häßlichen „gewaltsamen” Schale, die man als etwas Zufälliges dem Kapitalismus ausreden möchte, ist bloße Spintisiererei am Schreibtisch. In der blutigen Wirklichkeit hat der Imperialismus weder Kern noch Schale, er ist beides mit einem Male; ökonomische Notwendigkeit und Gewaltmittel gehen hier Hand in Hand und wechseln alle Augenblicke die Stellen. Beide sind nur zu überwinden durch die Beseitigung des Kapitalismus. Kautskys Plan, den heutigen Imperialismus zu zivilisieren, zu „demokratisieren” und friedlich zu machen, ihm „den Stachel” zu nehmen, läuft schließlich so ungefähr auf die Davidsche „sozialistische” Kolonialpolitik hinaus. Das Utopische all solcher Bestrebungen, dem Tiger die Krallen zu beschneiden und ihm einzureden, daß er sich im eigenen Interesse „am besten” von Honig und Gemüsen nähren soll, springt schließlich in die Augen. Und wenn die Davids ihre kleinbürgerlichen Utopien lange Jahre vor dem heutigen Kriege ausspannen, so ist es viel verwunderlicher, daß Kautsky heute gerade im Blitz und Donner der großen weltgeschichtlichen, vom Imperialismus heraufbeschworenen Katastrophe einen Anlaß findet – munter und unverdrossen wie eine junge Zikade im Grase –, sein Liedlein von der „Abrüstung”, vom „Nationalstaat”, von der „demokratischen Entwicklung” und vom Freihandel als den nächsten Zukunftsperspektiven des Kapitalismus „in dessen eigenem Interesse” zu singen. Eine

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