Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 378

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triumphierenden deutschen Imperialismus. Denn nur die standhafte Kadaverhaltung des deutschen Proletariats hat die russischen Revolutionäre dazu gedrängt, mit dem deutschen Imperialismus als der einzigen herrschenden Macht in Deutschland einen Frieden zu schließen. Und nur dieselbe Kadaverhaltung hat es dem deutschen Imperialismus ermöglicht, die russische Revolution für sich auszunützen.

Ob die deutschen Arbeiter die Ohrfeige nicht spüren, die für sie darin liegt, daß ihre Machthaber so ungescheut vor der roten Jakobinermütze in Petersburg salutieren in demselben Augenblick, wo sie die deutsche, mit Verlaub zu sagen, Volksvertretung wie einen Hund in die Bude geschickt und dem deutschen Volke den Maulkorb nochmals befestigt haben?[1] Die deutschen „Arbeiterführer” scheinen allerdings die Liebkosung nicht zu merken. Sie beharren dabei – auch die „Unabhängigen”[2] –, der deutschen Regierung noch kräftig zuzureden, daß sie ja die gute Gelegenheit nicht verpasse, sich nicht spröde zeige, die „russische Friedenshand” nicht zurückweise. Unbesorgt, ihr guten Leute – die Gelegenheit, sich von den Petersburger Jakobinern Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, läßt sich der deutsche Imperialismus sicher nicht entgehen. Die „Arbeiterführer” brauchen sich da gar nicht in Unkosten zu stürzen.

Und angesichts dieser Wendung, die aus einem Friedensschluß die Verlängerung des Krieges, aus dem revolutionären Siege des russischen Proletariats die größte Machtstärkung des deutschen Halbabsolutismus macht, finden auch die „Arbeitsgemeinschaftler” nichts Dringenderes, als die Bekanntgabe der „Kriegsziele” der deutschen Regierung zu fordern! „Wo bleiben die deutschen Kriegsziele?” ruft die „Leipziger Volkszeitung”. Die „unabhängigen” Grammophone haben nun einmal nur diese eine Platte und können sie nur immer wieder herunterleiern. „Wenn die deutsche Regierung bei ihrer bisherigen Politik beharrt, so droht diese Gefahr (die Fortsetzung des Krieges bis zum Weißbluten, bis zur völligen Katastrophe Europas – R. L.) trotz der Friedensbereitschaft der Russen!“[3] So schließt drohend das Leipziger Parteiorgan seine hundertste Ermahnung an die deutsche Regierung.

Ach, du lieber Himmel, die deutsche Regierung wird natürlich bei „ihrer bisherigen Politik” weiter beharren. Wir wüßten auch nicht, daß sie als „geschäftsführender Ausschuß der herrschenden Klassen” ihre Poli-

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[1] Am 1. Dezember 1917 hatte der Reicbstagspräsident vom Reidcstag die Ermächtigung erhalten, den Termin und die Tagesordnung der nächsten Tagung selbst festzulegen.

[2] Auf einer Konferenz der Parteiopposition in Gotha vom 6. bis 8. April 1917 wurde die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands gegründet. Trotz grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten mit der USPD-Führung schloß sich die Gruppe „Internationale” (Spartakusgruppe) der USPD an, wobei sie sich ihre politisch-ideologische Selbständigkeit und eine eigene organisatorische Tätigkeit vorbehielt.

[3] Wo bleiben die deutschen Kriegsziele? In: Leipziger Volkszeitung, Nr. 282 vom 4. Dezember 1917.