Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 37

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und verwerflichen Mitteln das zu erreichen, was an sich legitim und notwendig, aber „viel besser” durch andere Methoden, nämlich durch die „Demokratie”, zu erreichen ist. Kautsky erkennt in dem Ausdehnungsdrang des Kapitals das legitime Bedürfnis der modernen Entwicklung; bloß die Mittel, die imperialistischen Methoden will er beseitigen und damit dem Imperialismus, dem Wettrüsten, der Kolonialpolitik „den schlimmsten Stachel” nehmen.

Aber hinwiederum, wenn wir uns die Sache ganz genau besehen, so gibt es beinahe gar keinen Imperialismus. Denn entweder ist das, was jetzt als solcher erscheint, noch nicht Imperialismus, oder es ist mit ihm schon vorbei.

England? Nun, dessen Kolonien waren erobert „lange vor der imperialistischen Periode”, und jetzt beruht z. B. der südafrikanische, der kanadische, der australische Bund auf reiner Demokratie. Gegen eine solche „Staatenart” könnten wir kaum etwas „einwenden”.

Südafrika, Ägypten, Algerien, Persien nähern sich immer mehr „dem Stadium der modernen Demokratie”, und deshalb kommen diese Gebiete als Objekt des Imperialismus „nicht mehr” in Betracht (S. 54). Rußland? Dieses kann natürlich „noch nicht” Imperialismus treiben, denn es bedarf selbst noch der Kapitaleinfuhr. Österreich? Eigentlich kann es auch „noch nicht” imperialistische Ziele verfolgen, da es ebenfalls noch selbst des Kapitalimports bedarf; zugleich ist es aber auch schon über diese Ziele hinaus: Sein „zeitweiser” imperialistischer Drang nach Saloniki „hat längst aufgehört”. Sein Konflikt mit Serbien aber ist gar nicht imperialistischen Charakters. Beweis: Es liegen ihm agrarische Interessen zugrunde, Serbien seinerseits ist „noch weit von jeder imperialistischen Tendenz” entfernt, es befindet sich im Stadium „des Nationalstaates”. China? Es nähert sich auch mit Siebenmeilenstiefeln „dem Stadium” der modernen Demokratie alias des Nationalstaates, also auch hier wird „jede imperialistische Politik unmöglich” (was die verblendeten Japaner, die die „Neue Zeit” nicht lesen, in diesem Moment offenbar gar nicht ahnen).

Mit einem Wort, wohin wir blicken, ist es mit dem Imperialismus nichts, oder seine Tage sind gezählt, denn überall wird er durch die zunehmende „Demokratie” verdrängt. Halt, die Türkei! Das war allerdings ein Objekt des Imperialismus, namentlich des deutschen. Die Türkei drohte denn auch zum Wetterwinkel des imperialistischen Weltkrieges zu werden. Allein auch hier war just vor dem Ausbruch des gegenwärtigen Krieges alles „geregelt”. Er brach in einem Moment aus, in dem „kein einziger imperialistischer Streitpunkt existierte” (S. 63).

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