Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 347

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das „Selbstbestimmungsrecht” in Rußland selbst bildeten, eine sehr kühle Geringschätzung an den Tag legten, behandelten sie das Selbstbestimmungsrecht der Nationen als ein Kleinod der demokratischen Politik, dem zuliebe alle praktischen Gesichtspunkte der realen Kritik zu schweigen hätten. Während sie sich von der Volksabstimmung zur Konstituierenden Versammlung in Rußland – einer Volksabstimmung auf Grund des demokratischsten Wahlrechts der Welt und in voller Freiheit einer Volksrepublik – nicht im geringsten hatten imponieren lassen und, von sehr nüchternen kritischen Erwägungen geleitet, ihre Resultate einfach für null und nichtig erklärten[1], verfochten sie in Brest die „Volksabstimmung” der fremden Nationen Rußlands über ihre staatliche Zugehörigkeit als das wahre Palladium jeglicher Freiheit und Demokratie, als unverfälschte Quintessenz des Volkswillens und als die höchste, entscheidende Instanz in Fragen des politischen Schicksals der Nationen.

Der Widerspruch, der hier klafft, ist um so unverständlicher, als es sich bei den demokratischen Formen des politischen Lebens in jedem Lande, wie wir das noch weiter sehen werden, tatsächlich um höchst wertvolle, ja unentbehrliche Grundlagen der sozialistischen Politik handelt, während das famose „Selbstbestimmungsrecht der Nationen” nichts als hohle kleinbürgerliche Phraseologie und Humbug ist.

In der Tat, was soll dieses Recht bedeuten? Es gehört zum Abc der sozialistischen Politik, daß sie, wie jede Art Unterdrückung, so auch die einer Nation durch die andere bekämpft.

Wenn trotz alledem sonst so nüchterne und kritische Politiker wie Lenin

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[1] Nachdem die Sowjets nach der Oktoberrevolution die politische Grundlage des Staates bildeten, war die Losung der Einberufung einer Konstituierenden Versammlung, die in der bürgerlich-demokratischen Republik die höchste Form des Demokratismus darstellt, politisch ‘und praktisch überholt. Sie wurde von den konterrevolutionären Kräften aufgegriffen und zum Kampf für die Beseitigung der Sowjetmacht verwandt. Da aber ein großer Teil der Arbeiter und Bauern in Verfassungsillusionen befangen war, beschloß der Rat der Volkskommissare, die Wahlen zu dem bereits von der Provisorischen Regierung festgelegten Termin durchzuführen. Die rechten kleinbürgerlichen Parteien, die die Stimmenmehrheit besaßen, weigerten sich am 5. Januar 1918, dem Eröffnungstag der Konstituierenden Versammlung, das Programm der Sowjetmacht, die „Deklaration der Rechte des „werktätigen und ausgebeuteten Volkes”, zu erörtern sowie am 6. Januar über die Haltung zur Friedenspolitik der Sowjetregierung abzustimmen, und nahmen damit offen gegen die Sowjetmacht Stellung. Das Gesamtrussische Zentralexekutivkomitee beschloß am 6. Januar 1918 die Auflösung der Versammlung. W. I. Lenin hatte in seiner Rede auf dieser Sitzung festgestellt: „Das Volk wollte die Einberufung der Konstituierenden Versammlung, und wir haben sie einberufen. Es merkte aber sofort, was diese vielberühmte Konstituierende Versammlung eigentlich vorstellt. Und jetzt haben wir den Willen des Volkes ausgeführt, den Willen, der da lautet: Alle Macht den Sowjets!” (W. I. Lenin: Werke, Bd. 26, S. 440.)