Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 312

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schildert ist. Hier ist aber das von Geburt kränkliche, hypersensible Mädchen, das, durch einen kurzen egoistischen Liebesrausch der Mutter tödlich ins Herz getroffen, wie eine kaum erschlossene Knospe verdorrt, doch nur ein „Beweismittel” des Zolaschen experimentellen Romans, ein Mannequin, an dem die These von der Vererbung dargestellt wird.

Für die Russen ist das Kind und dessen Psyche ein selbständiges, vollwertiges Objekt des künstlerischen Interesses, ein ebensolches menschliches Individuum wie der Erwachsene, nur natürlicher, unverdorbener und namentlich wehrloser gegen die sozialen Einflüsse. Wer einen von diesen Kleinen ärgert, dem wäre besser, ihm würde ein Mühlstein an den Hals gehängt, usw. Die heutige Gesellschaft „ärgert” aber Millionen dieser Kleinen, indem sie ihnen das Kostbarste und Unersetzlichste raubt, was ein Mensch sein eigen nennen kann: eine glückliche, sorglose, harmonische Jugend.

Als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse steht die Kinderwelt mit ihren Leiden und Freuden dem Herzen des russischen Künstlers besonders nahe und wird von ihm nicht in dem falschen spielerischen Ton behandelt, mit dem die Erwachsenen zumeist zur Welt der Kinder herabsteigen zu müssen glauben, sondern im aufrichtigen und ernsten Ton der Kameradschaft, ohne jede unbegründete Selbstüberhebung des Alters, ja mit innerer Scheu und Ehrfurcht vor dem unberührt Menschlichen, das in jeder Kinderseele schlummert, wie vor dem Golgathaweg des Lebens, der vor jedem Kinde offenliegt.

Ein wichtiges Symptom des geistigen Lebens der Kulturvölker ist die Stellung, die der Satire in ihrer Literatur zukommt. Deutschland und England sind in dieser Hinsicht die zwei Gegenpole der europäischen Literatur. Um den Faden von Hutten bis Heine zu spannen, müßte man schon Grimmelshausen zu den Satirikern rechnen, was doch nur bedingt angeht. Und auch dann bieten die Zwischenglieder das Bild eines erschreckenden Niedergangs im Verlaufe von drei Jahrhunderten. Von dem genial-phantastischen Fischart mit seiner strotzenden Natur, in der man deutlich den Hauch der Renaissance spürt, zu dem nüchtern-barocken Moscherosch; und von Moscherosch, der immerhin die Großen keck am Bart zauste, zu dem kleinen Philister Rabener – welcher Verfall! Rabener, der sich über die „Verwägenheit” jener Leute ereifert, die fürstliche Personen, Geistlichkeit und „obere Stände” lächerlich zu machen sich erdreisten, während doch ein braver deutscher Satiriker vor allem lernen müsse, „ein guter Untertan” zu sein, hat denn auch die sterbliche Stelle der deutschen Satire bloßgelegt. In der nachmärzlichen Literatur fehlt die

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