Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 311

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Verhältnisse – die verschiedenartigsten Seelenverkrüppelungen zur Massenerscheinung werden müssen. Unterdrückung, Willkür, Unrecht, Armut, Abhängigkeit und auch eine zur einseitigen Spezialisierung führende Arbeitsteilung als ständige Einrichtungen modeln die Menschen geistig in bestimmter Weise, und zwar auf beiden Polen: Der Unterdrücker wie der Unterdrückte, der Tyrann wie der Kriecher, der Protz wie der Schmarotzer, der rücksichtslose Streber wie der indolente Bärenhäuter, der Pedant wie der Hanswurst sind gleichermaßen Produkte und Opfer ihrer Verhältnisse.

Gerade diese besonderen psychologischen Abnormitäten, sozusagen der schiefe Wuchs der Menschenseele unter der Einwirkung alltäglicher gesellschaftlicher Verhältnisse, haben bei Gogol, Dostojewski, Gontscharow, Saltykow, Uspenski, Tschechow und anderen Schilderungen von Balzacscher Wucht gefunden. Die Tragödie der Trivialität eines ganz gewöhnlichen Alltagsmenschen, wie sie Tolstoi in „Iwan Iljitschs Tod” geliefert hat, steht wohl einzig in der Weltliteratur da.

Namentlich aber für die Kategorie jener kleinen Schelme, die, ohne bestimmten Beruf, untauglich zum richtigen Erwerb, zwischen Schmarotzerdasein und gelegentlichen Konflikten mit dem Strafkodex herumgeworfen, den Abfall der bürgerlichen Gesellschaft bilden und von dieser Gesellschaft im Westen durch die bündige Tafel „Betteln, Hausieren, Musizieren verboten I” von der Schwelle gewiesen werden, für diese Kategorie vom Typus des Exbeamten Popkow im vorliegenden Buche findet die russische Literatur seit jeher ein lebhaftes künstlerisches Interesse und ein gutmütiges Lächeln des Verständnisses. Mit Dickensscher Warmherzigkeit, aber ohne seine gut bourgeoise Sentimentalität, vielmehr mit großzügigem Realismus rechnen die Turgenjew, Uspenski, Korolenko, Gorki all diese „Schiffbrüchigen” ebenso wie den Verbrecher, wie die Prostituierte einfach zur menschlichen Gesellschaft als Gleichberechtigte mit und erzielen gerade dank dieser weitherzigen Auffassung Schöpfungen von größter künstlerischer Wirkung.

Mit besonderer Zärtlichkeit und Feinheit wird in der russischen Literatur die Kinderwelt geschildert, wie bei Tolstoi in „Krieg und Frieden” und in der „Anna Karenina”, bei Dostojewski in den „Karamasows”, bei Gontscharow in „Oblomow”, bei Korolenko in den Erzählungen „In schlechter Gesellschaft” und „Des Nachts”, bei Gorki in den „Drei Menschen”. Es gibt einen Roman von Zola „Page d’amour” aus dem Zyklus „Rougon-Macquart”, in dem das seelische Drama eines vernachlässigten Kindes im Mittelpunkt der Handlung steht und in ergreifender Weise ge-

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