Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 299

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Konsumenten … Will man aber dieser Tautologie einen Schein tiefrer Begründung dadurch geben, daß man sagt, die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen Teil ihres eignen Produkts, und dem Übelstand werde mithin abgeholfen, sobald sie großem Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, daß die Krisen jedesmal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter großem Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält Jene Periode müßte – von dem Gesichtspunkt dieser Ritter vom gesunden und ,einfachen’ (l) Menschenverstand – umgekehrt die Krise entfernen. Es scheint also, daß die kapitalistische Produktion vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschließt, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise.”[1]

In der Tat führen die Darlegungen des zweiten wie des dritten Bandes zu gründlichem Einblick in das Wesen der Krisen, die sich einfach als unvermeidliche Folgen der Bewegung des Kapitals ergeben, einer Bewegung, die, im ungestümen, unstillbaren Drang nach Ansammlung, nach Wachstum, über jede Schranke der Konsumtion alsbald hinauszustreben pflegt, mag diese Konsumtion durch erhöhte Kaufmittel einer einzelnen Gesellschaftsschicht oder durch Eroberung ganz neuer Absatzgebiete noch so sehr erweitert werden. So muß auch der im Hintergrunde jener populären gewerkschaftlichen Agitation lauernde Gedanke von der Interessenharmonie zwischen Kapital und Arbeit, der nur durch die Kurzsichtigkeit der Unternehmer verkannt werde, verabschiedet und alle Hoffnung auf mildernde Flickarbeit an der wirtschaftlichen Anarchie des Kapitalismus aufgegeben werden. Der Kampf um die materielle Hebung der Lohnproletarier hat tausend allzu gute Waffen in seinem geistigen Rüstzeug, als daß er eines theoretisch unhaltbaren und praktisch zweideutigen Arguments bedürfte.

Ein anderes Beispiel. Im dritten Band gibt Marx zum ersten Male eine wissenschaftliche Erklärung für die von der Nationalökonomie seit ihrem Entstehen ratlos angestaunte Erscheinung, daß die Kapitale in allen Produktionszweigen, obgleich sie unter verschiedensten Bedingungen angelegt sind, den sogenannten „landesüblichen” Profit abzuwerfen pflegen. Auf den ersten Blick scheint diese Erscheinung einer Erklärung zu widersprechen, die Marx selbst gegeben hat, nämlich der Erklärung des kapitalisti-

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[1] Karl Marx: Das Kapital. Zweiter Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 409 f.