Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 298

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Bereicherung aufspürten. Im zweiten und dritten Bande bewegen wir uns an der Oberfläche, auf der offiziellen Bühne der Gesellschaft. Warenmagazine, Banken, Börse, Geldgeschäfte, „notleidende Agrarier” und ihre Sorgen füllen hier den Vordergrund aus. Der Arbeiter spielt hier nicht mit. Er kümmert sich auch in Wirklichkeit nicht um diese Dinge, die hinter seinem Rücken vorgehen, nachdem sein Fell bereits gegerbt ist. Und im lärmenden Gewühl der geschäftetreibenden Menge begegnen wir auch in der Wirklichkeit den Arbeitern nur, wenn sie am dämmernden Morgen in Trupps in ihre Werkstätten trotten und am dämmernden Abend, wenn sie in langen Zügen von ihren Werkstätten wieder ausgespien werden.

Danach mag es nicht ersichtlich erscheinen, welches Interesse die verschiedenen Privatsorgen der Kapitalisten bei der Profitmacherei und ihr Zank um die Verteilung der Beute für die Arbeiter haben mögen. Tatsächlich aber gehören der zweite und dritte Band des „Kapitals” zur erschöpfenden Erkenntnis des heutigen Wirtschaftsmechanismus so gut wie der erste. Freilich sind sie nicht von der entscheidenden und grundlegenden historischen Bedeutung für die moderne Arbeiterbewegung wie dieser. Sie enthalten aber eine reiche Fülle von Einblicken, die auch für die geistige Ausrüstung des Proletariats zum praktischen Kampf von unschätzbarer Bedeutung sind. Hierfür nur zwei Beispiele.

Im zweiten Bande berührt Marx bei der Frage, wie sich aus dem chaotischen Walten der Einzelkapitale die regelmäßige Ernährung der Gesellschaft ergeben könne, naturgemäß auch die Frage der. Krisen. Keine systematische und lehrhafte Abhandlung über Krisen darf man hier erwarten, nur einige beiläufige Bemerkungen. Aber ihre Verwertung wäre für die aufgeklärten und denkenden Arbeiter von großem Nutzen. Es gehört sozusagen zum eisernen Bestand der sozialdemokratischen und namentlich der gewerkschaftlichen Agitation, daß die Krisen mit in erster Reihe durch die Kurzsichtigkeit der Kapitalisten entstehen, die schlechterdings nicht begreifen wollen, daß die Massen ihrer Arbeiter ihre besten Abnehmer seien und daß sie diesen nur höhere Löhne zu zahlen brauchen, um sich die kauffähige Kundschaft zu erhalten und der Krisengefahr vorzubeugen.

So populär diese Vorstellung ist, so ist sie doch völlig verkehrt, und Marx widerlegt sie mit folgenden Worten: „Es ist eine reine Tautologie zu sagen, daß die Krisen aus Mangel an zahlungsfähiger Konsumtion oder an zahlungsfähigen Konsumenten hervorgehn. Andre Konsumarten als zahlende kennt das kapitalistische System nicht, ausgenommen die sub forma pauperis oder die des ,Spitzbuben’. Daß Waren unverkäuflich sind, heißt nichts, als daß sich keine zahlungsfähigen Käufer für sie fanden, also

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