Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 294

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Aber damit ist die Ernte des Kapitalisten noch lange nicht in die Scheunen gebracht. Die Frucht der Ausbeutung ist da, aber sie steckt noch in einer für den Unternehmer ungenießbaren Form. Solange er sie erst in Gestalt von aufgestapelten Waren besitzt, kann der Kapitalist der Ausbeutung nicht froh werden. Er ist eben nicht der Sklavenhalter der antiken, griechisch-römischen Welt, auch nicht der feudale Herr des Mittelalters, die nur für den eigenen Luxus und die große Hofhaltung das arbeitende Volk geschunden haben. Der Kapitalist braucht seinen Reichtum in klingendem Geld, um dieses neben der „standesgemäßen Lebenshaltung” für sich zur fortwährenden Vergrößerung seines Kapitals zu verwenden. Dazu ist der Verkauf der vom Lohnarbeiter erzeugten Waren mitsamt des in ihnen steckenden Mehrwerts nötig. Die Ware muß aus dem Fabriklager und dem landwirtschaftlichen Speicher auf den Markt; der Kapitalist folgt ihr aus dem Kontor auf die Börse, in den Laden, und wir folgen ihm dahin im zweiten Bande des „Kapitals”.

Im Bereich des Warenaustausches, wo sich das zweite Lebenskapitel des Kapitalisten abspielt, erwachsen ihm manche Schwierigkeiten. In seiner Fabrik, auf seinem Vorwerk war er Herr. Dort herrschte strengste Organisation, Disziplin und Planmäßigkeit. Auf dem Warenmarkt dagegen herrscht völlige Anarchie, die sogenannte freie Konkurrenz. Hier kümmert sich keiner um den anderen und niemand um das Ganze. Und doch fühlt der Kapitalist gerade mitten durch diese Anarchie seine Abhängigkeit von anderen, von der Gesellschaft nach jeder Richtung.

Er muß mit allen seinen Konkurrenten Schritt halten. Versäumt er bis zum endgültigen Verkauf seiner Waren mehr Zeit, als unbedingt erforderlich ist, versorgt er sich nicht mit genügendem Geld, um rechtzeitig Rohstoffe und alles Nötige einzukaufen, damit der Betrieb mittlerweile keine Unterbrechung erleidet, sorgt er nicht dafür, daß sein Geld, wie er es aus dem Erlös der Waren wieder in die Hand bekommt, nicht etwa müßig liegt, sondern irgendwo profitlich angelegt wird, so kommt er auf diese oder jene Weise ins Hintertreffen. Den letzten beißen die Hunde, und der einzelne Unternehmer, der nicht achtgibt, daß sein Geschäft in dem fortwährenden Hin und Her zwischen der Werkstatt und dem Warenmarkt so gut klappt wie in der Werkstatt selbst, wird, so gewissenhaft er seine Lohnarbeiter ausnutzen mag, doch nicht zu dem üblichen Profit gelangen. Ein Stück seines „wohlerworbenen” Profits wird irgendwo hängenbleiben, nur nicht in seiner eigenen Tasche.

Damit nicht genug. Der Kapitalist kann nur Reichtum ansammeln, wenn er Waren, also Gebrauchsgegenstände, herstellt. Er muß aber gerade die-

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