Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 293

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Erhaltung in dieser Zeit notwendig ist. Diese beiden rein ökonomischen und zugleich durch objektive historische Entwicklung gegebenen Tatsachen bringen es mit sich, daß die Frucht, die die Arbeit des Proletariats schafft, ganz von selbst dem Kapitalisten in den Schoß fällt, sich mechanisch mit der Fortdauer des Lohnsystems zu immer gewaltigeren Kapitalvermögen ansammelt.

Marx erklärt also die kapitalistische Bereicherung nicht als irgendeine Vergütung des Kapitalisten für eingebildete Opfer und Wohltaten und ebensowenig als Prellerei und Diebstahl im landläufigen Sinne des Wortes, sondern als ein im Sinne des Strafrechts völlig rechtmäßiges Austauschgeschäft zwischen Kapitalist und Arbeiter, das sich genau nach denselben Gesetzen abwickelt wie jeder andere Warenkauf und Warenverkauf. Um dieses tadellose Geschäft, das dem Kapitalisten die goldenen Früchte trägt, gründlich aufzuhellen, mußte Marx das von den großen englischen Klassikern Smith und Ricardo zu Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts aufgestellte Wertgesetz, das heißt die Erklärung der inneren Gesetze des Warenaustausches, zu Ende entwickeln und auf die Ware Arbeitskraft anwenden. Das Wertgesetz, daraus abgeleitet der Lohn und der Mehrwert, das heißt die Erklärung, wie ohne jede gewaltsame Prellerei sich das Produkt der Lohnarbeit von selbst in einen kümmerlichen Lebensunterhalt für den Arbeiter und den arbeitslosen Reichtum des Kapitalisten teilt, das ist der Hauptinhalt vom ersten Bande des „Kapitals”. Und darin liegt die große geschichtliche Bedeutung dieses Bandes: Er hat dargetan, daß die Ausbeutung erst dadurch und lediglich dadurch beseitigt werden kann, daß der Verkauf der Arbeitskraft, will sagen das Lohnsystem, aufgehoben wird.

Wir befinden uns im ersten Bande des „Kapitals” die ganze Zeit in der Werkstatt der Arbeit: in einer einzelnen Fabrik, im Bergwerk oder einem modernen landwirtschaftlichen Betriebe. Was hier ausgeführt wird, gilt für jedes kapitalistische Unternehmen. Es ist das Einzelkapital als Typus der ganzen Produktionsweise, womit wir allein zu tun haben. Wenn wir den Band schließen, ist uns die tägliche Entstehung des Profits klar, der Mechanismus der Ausbeutung bis in die Tiefen durchleuchtet. Vor uns liegen Berge von Waren jeglicher Art, wie sie unmittelbar aus der Werkstatt, noch vom Schweiß der Arbeiter befeuchtet, hervorkommen, und in ihnen allen können wir scharf unterscheiden den Teil ihres Wertes, der aus unbezahlter Arbeit des Proletariers herrührt und der ebenso rechtmäßig wie die ganze Ware in den Besitz des Kapitalisten wandert. Wir greifen hier die Wurzel der Ausbeutung mit den Händen.

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