Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 249

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gewaltigung” irgendeines der Kriegführenden anstreben, d. h„ die sozialistische Internationale soll als Schildwache des berühmten Status quo der europäischen Besitzverhältnisse auf dem Posten stehen – desselben Status quo, der seinerzeit ein Produkt und Ausdruck zahlloser „Vergewaltigungen und Demütigungen” in Europa und in allen fünf Weltteilen war. Und zweitens soll die sozialistische Internationale vor allem fordern: „Internationale Abkommen über die Entscheidung aller Konflikte zwischen den Staaten durch Schiedsgerichte und über eine allseitige Einschränkung der Kriegsrüstungen”.

Alle guten Geister lohen Gott den Herrn! Nach fast drei Jahren eines imperialistischen Hexensabbats, dessen erste Geste schon zwei Tage vor dem offiziellen Kriegsausbruch in Belgien über alle „Internationalen Abkommen” der bürgerlichen Diplomatie hinwegstampfte, nach bald drei Jahren eines Krieges, der an jedem Tage mit einem neuen Fetzen dieser „Abkommen” die Lafetten der Kanonen putzt, nachdem im Laufe des Krieges selbst das Wettrüsten wie ein Feuerbrand immer weiter und weiter um sich greift – in den Vereinigten Staaten, in sämtlichen, auch den kleinsten Staaten Europas –, nachdem auch die letzten Einfriedungen, die vor dem Wettrüsten sicher schienen, in Gestalt der neutralisierten Staaten wie Belgien und der Schweiz von diesem Kriege niedergerissen worden sind oder es im nächsten Augenblick werden können, nachdem die beispiellosesten, einander überstürzenden Umwälzungen der Kriegstechnik eine neue ungeahnte materielle Basis für uferlose Wettrüstungen schaffen, nachdem der Militarismus in Zwangsdienstgesetzen eben erst in allen Großstaaten eine Macht und absolute Herrschaft über die Gesellschaft erlangte, wie man davon noch kein Beispiel in der Weltgeschichte erlebt hat – nach alledem und alledem stehen die Kautsky, Haase, Ledebour auf, reiben sich den Schlaf aus den Augen und stammeln, genau nach Schema F, wie sie vor dem Kriege stammelten: „Ach so, Imperialismus, Weltkrieg, Militarismus! Nun – dann müssen wir eben Internationale Abkommen über Schiedsgerichte und Abrüstung ,fordern’!” – Da hört doch wahrhaft jeder Spaß auf, das grenzt schon einfach an politische Gehirnerweichung.

Eins von beiden. Entweder glauben diese Leute in vollem Ernst und unschuldigen Herzens an die Möglichkeit, den heutigen Imperialismus nach dem heutigen Weltkriege durch „Abkommen” der bürgerlichen Diplomatie über Schiedsgerichte und Abrüstung fesseln und eindämmen zu können. Dann stehen ihre Geschichtsauffassung und ihre politische Reife unter dem Niveau des bürgerlichen Freisinns, dann sind sie eben nicht

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