Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 250

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sehr ernst zu nehmen. Oder aber sie nehmen selbst ihre eigenen Phrasen nicht ernst und wiederholen sie nur aus Furcht vor den entschlossenen Konsequenzen, zu denen sie eine Absage an den elenden Phrasenplunder zwingen würde. Auf jeden Fall ist eins klar: Diese „Friedensaktion” der „Arbeitsgemeinschaft” ist nichts als eine buchstäbliche Kopie der famosen Friedensaktion des Präsidenten der Vereinigten Staaten.[1] Wilson mahnte auch zum Frieden. Wilson wollte auch „Verständigung”, Wilson forderte auch die Bekanntgabe der Kriegsziele, Wilson war auch gegen jede „Vergewaltigung”, Wilson drang auch auf „Internationale Abkommen” über Schiedsgerichte und Einschränkung der Rüstungen. Und auf Wilsons Aktion beruft sich eben das Manifest der Haase, Ledebour, Kautsky als auf das entscheidende Moment, das einen Vorstoß der proletarischen Internationale als „an der Zeit” erscheinen lasse.

Hier erfolgt aber einer der gelungensten Witze der Weltgeschichte: Kaum hatte die „Arbeitsgemeinschaft” eine sorgfältige Kopie des Friedensprogramms des amerikanischen Präsidenten ausgefertigt, als dieser, der eben den Mund zu einer dritten Friedensbotschaft aufgetan hatte, einen Moment schwieg und dann plötzlich erklärte: „Meine Herrschaften, ich habe mir’s überlegt: Ich mache nicht mehr Frieden, ich mache Krieg!“[2] Der bürgerliche Pazifismus, an dessen Rockschöße sich die gemäßigte „Opposition” geklammert hatte, ist wieder einmal derb auf die Erde geplumpst und mit ihm die Haase, Kautsky, Ledebour. Eine neue Verschärfung des Krieges, eine neue Ausdehnung der Rüstungen, eine neue Auflage des Massenmordes – und das gerade durch den Friedensapostel Wilson –, das sind die diplomatischen „Abrüstungsabkommen” und Internationalen „Schiedsgerichte”, auf die die Arbeitsgemeinschaft ihre Friedenspolitik als auf einen steinernen Felsen basiert!

Aber die verspätete Kopie der Wilsonschen Friedensbotschaft ist bei der Arbeitsgemeinschaft mehr als politische Impotenz: Sie ist – was die Kautsky, Haase, Ledebour offenbar gar nicht begreifen können – eine glatte Preisgabe des Sozialismus. Die sozialistische Friedenspolitik ist heute in den folgenden einfachen Worten enthalten: Ihr Arbeiter! Entweder machen die bürgerlichen Regierungen den Frieden, wie sie den Krieg machten, dann bleibt bei jedem Ausgang des Krieges der Imperia-

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[1] Der Präsident der USA, Woodrow Wilson, hatte an alle kriegführenden Länder eine vom 18. Dezember 1916 datierte Note gerichtet, in der er sie aufforderte, die Bedingungen bekanntzugeben, unter denen sie bereit seien, in Friedensverhandlungen einzutreten.

[2] Die USA traten mit der Kriegserklärung an Deutschland am 6. April 1917 auf seiten der Entente in den Weltkrieg ein. Der unmittelbare Anlaß dafür war die Eröffnung des uneingeschränkten IJ-Boot-Krieges durch Deutschland. – Deutschland eröffnete am 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, durch den alle Schiffe in einem festgelegten Seegebiet um England und Frankreich durch warnungslose Torpe-dierungen bedroht wurden.