Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 240

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verschärfte und auf die Neue Welt so gut wie ausgedehnte Krieg geht zum zweiten Mal über die Internationale Arbeiterklasse als Machtfaktor der Geschichte zur Tagesordnung über. Es ist das zweite Waterloo des Sozialismus, was wir heute erleben.

Der Roman von Zola „Die Bestie im Menschen” schließt mit dem erschütternden Bilde eines Eisenbahnzuges, von dem der Maschinist und der Heizer in gegenseitiger tödlicher Umklammerung abgestürzt sind und der nun führerlos und hemmungslos in die Nacht hineinrast, zum Entsetzen der in ihm eingeschlossenen Menschen alle Stationen überspringt und in immer wilderem Tempo der schließlichen Katastrophe irgendwo in unbekannter Ferne entgegenstürmt. Ein solches Bild bietet gegenwärtig die kapitalistische Gesellschaft dar, nachdem der berufene Maschinist und Heizer – das Internationale Proletariat – am 4. August abgestürzt ist.

Sich dies mit aller unnachsichtigen Offenheit und Klarheit zu sagen ist für die Arbeiter selbst der erste Schritt und die erste Vorbedingung zur künftigen politischen Auferstehung. In Wirklichkeit ist ein derartiges Versagen einer gesellschaftlichen Klasse ihren geschichtlichen Aufgaben gegenüber etwas ganz Beispielloses.

Das revolutionäre Frankreich war freilich bereits zu drei Vierteln ein Friedhof und ein Bild der Barbarei infolge der langen Herrschaft des mittelalterlichen Feudalismus, und doch hat sich das Bürgertum alsdann aufgerafft, um das schmachvolle Joch des Mittelalters zu zerschmettern und durch revolutionären Elan frisches Leben aus den Ruinen aufzuwecken. Das vormärzliche Deutsche Reich war, wie sattsam bekannt, schon reichlich weit im Zustand eines verwesenden Kadavers vorgeschritten und erstickender Dünste der Zersetzung voll, als die deutsche Bourgeoisie doch noch in der allerletzten Stunde aus ihren altersschwachen Lenden so etwas wie revolutionäre Tatkraft hervorgeholt hatte, um wenigstens einen Anlauf zur Renovierung der morschen Zustände zu machen.

Das jüngste Beispiel erleben wir eben in diesen Tagen. Selbst die russische Bourgeoisie, dieser letzte Sprößling des kapitalistischen Bürgertums, behaftet mit allen Gebrechen der Spätgeburt, geschwächt durch alle Früchte vom Baume der historischen Erkenntnis, geschreckt durch alle Erlebnisse ihrer älteren Geschwister und noch mit den Schrecken der eigenen russischen Revolution in den Gliedern – selbst diese Bourgeoisie rafft sich in diesem Augenblick unter schwierigsten Verhältnissen zu einer Tatkraft auf, um den letzten Rest der revolutionären Aufgaben zu vollführen, die dem Bürgertum von der Geschichte gestellt worden sind.

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