Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 230

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zung mit den imperialistischen Mächten, zum Ringen um die Staatsgewalt, um die sozialistische Gesellschaftsordnung.

Die Forderung des Erfurter Programms: „Schlichtung aller Internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege”[1] steht unsrer Auffassung nicht im Wege. Sie ist nur im Zusammenhang des ganzen „Gegenwartsprogramms” zu verstehen, von dem sie einen unlöslichen Teil bildet; im Zusammenhang vor allem mit der Forderung der demokratischen Volkswehr und der demokratischen Entscheidung über Krieg und Frieden. Es hieße diese Forderung in ihr Gegenteil verkehren, wollte man sie als ein Vertrauensvotum für kapitalistische Regierungen, als Kundgebung der Zuversicht auf diplomatische Abmachungen des Imperialismus deuten. Es hieße dem Proletariat statt Promethidentrotzes die Rolle eines hoffnungsvollen Toren ansinnen.

Mit gutem Grunde sind unsere Leitsätze vom Januar 1916[2]der landläufigen Schiedsgerichtduselei entgegengetreten. Mit gutem Grunde haben sie den Blick auf das eine und einzige gelenkt, das dem Friedenskampf der Arbeiterklasse zum Siege verhelfen kann: auf die selbständige opferbereite Aktion der Massen.

Gerade heute muß diese Wahrheit mit feurigen Zungen gepredigt werden.

Immer eifriger beginnen die offiziellen Geschäftsträger der herrschenden Klassen, die den Weltkrieg heraufbeschworen, in ihr Falschspiel der Völkerverwirrung auch die falsche Karte des Schiedsgedankens einzumischen. Wilson, Grey und natürlich auch der deutsche Kanzler – sie allesamt erklären sich bereit, einem „Völkerbunde” beizutreten, ja sogar – man denke! – „an die Spitze eines Völkerbundes zu treten, der die Friedensstörer im Zaume hält”.

Und „wie der Herre, so’s Gescherre”. Wie die Staatsdiplomatie, so ihre „sozialdemokratischen” Reklametrommler. In Deutschland am meisten. Eifrig verbreiten sie den demagogischen Humbug und plustern ihn auf, um die Regierung mit einer Glorie zu umgeben und ihr die Massen zuzutreiben, um das Proletariat einzulullen und von seiner eigenen Politik abzulenken. Wie sie die Grundlagen des Parteiprogramms verraten haben, so schlachten sie jetzt seine einzelnen Worte nur noch aus, um die Massen unter das Kommando der herrschenden Klassen zu stellen.

Der „Manchester Guardian” zerpflückt den Schwindel mit kühler Ge-

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[1] Revolutionäre deutsche Parteiprogramme. Hrsg. und eingel. von Lothar Berthold und Ernst Diehl, Berlin 1964, S. 85.

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Entwurf zu den Junius-Thesen. In: GW, Bd. 4, S. 43–47.