Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 217

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dem Kriege unumschränkter Herr der Situation, und die Sozialdemokratie zählt im Frieden wie im Kriege als Machtfaktor des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr mit.

Nach dem Bankrott des 4. August 1914 ist also jetzt die zweite entscheidende Probe für den historischen Beruf der Arbeiterklasse: ob sie verstehen wird, den Krieg, dessen Ausbruch sie nicht verhindert hat, zu beenden, den Frieden nicht aus den Händen der imperialistischen Bourgeoisie als Werk der Kabinettdiplomatie zu empfangen, sondern ihn der Bourgeoisie aufzuzwingen, ihn zu erkämpfen.

Aber um Frieden kämpfen heißt nicht, im Reichstag Bethmann Hollweg zuzureden, daß er die Pflicht habe, in Friedensverhandlungen mit Grey einzutreten. Um Frieden kämpfen heißt nicht, untertänige Bittschriften an die Regierung unterzeichnen. Um Frieden kämpfen heißt auch nicht, in polizeilich genehmigten Versammlungen Beifall klatschen und für Friedensresolutionen Hände hochheben, um am anderen Tage ruhig weiter Munition für den Krieg mit eigenen Händen zu bereiten, das „Durchhalten” zu ermöglichen und mit hungerndem Magen die Militärdiktatur geduldig zu ertragen.

Um Frieden kämpfen heißt alle Machtmittel der Arbeiterklasse rücksichtslos gebrauchen, um im Lande wie draußen im Felde die Fortführung des Völkermordes unmöglich zu machen, heißt wie Liebknecht vor keinem Opfer und keiner Gefahr zurückschrecken, um den Burgfrieden zu sprengen und der Säbeldiktatur in den Arm zu fallen.

Nur wenn ein solcher entschlossener Massenkampf dem Kriege ein Ende macht, kann der Frieden zu einem neuen mächtigen Aufschwung des Sozialismus und zur Wiedergeburt der Internationale als lebendiger Macht führen.

Und nur derselbe entschlossene Massenkampf um den Frieden kann Liebknecht aus seiner Zelle befreien.

Als das englische Volk im siebzehnten Jahrhundert zum Kampf um die politische Freiheit sich erhob, war sein erster Schritt, die Märtyrer der Freiheit zu. befreien. Die finsteren Tore des Londoner Towers öffneten sich, und das Volk führte mit Jubel seine Vorkämpfer durch die Straßen, ihnen Rosmarin vor die Füße streuend.

In Paris, als die Sturmglocke der großen Revolution läutete, die dem feudalen Mittelalter in Europa ein Ende machte, war die erste Geste der Volksmassen – der Sturm auf die Bastille. Pariser Frauen legten mit eigenen Händen die verhaßte Zwingburg nieder, in der der französische Absolutismus die Freiheitshelden verschmachten ließ.

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