Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 178

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sozialistische Internationale zum bestimmenden Zentrum der gesamten Arbeiterbewegung zu machen; es sei ungehörig, die Landeszentralen in ihren freien Entschlüssen gegenüber dem Kriege zu beschränken; es sei ungehörig und unausführbar, die Internationale über die Instanzen der deutschen Partei und der anderen Parteien zu stellen. Die Internationale soll nur eine lose föderative Zusammenfassung der in ihrer Taktik im Frieden wie im Kriege völlig unabhängigen nationalen Arbeiterparteien bleiben, wie sie es vor Ausbruch des Weltkrieges war.

Genossen und Genossinnen! Hier liegt geradezu der Knotenpunkt der ganzen Situation, hier ist die Lebensfrage der Arbeiterbewegung eingeschlossen. Unsere Partei hat am 4. August versagt, wie die Parteien anderer Länder versagt haben, eben weil die Internationale sich als hohle Phrase herausgestellt, weil die Beschlüsse der Internationalen Kongresse sich als leeres, machtloses Wort erwiesen haben. Wollen wir diesem schmachvollen Zustand ein Ende machen, wollen wir für die Zukunft die Wiederholung des Bankrotts vom 4. August 1914 verhüten, dann gibt es nur einen Weg und eine Rettung für uns: die Internationale Solidarität des Proletariats aus einer schönen Phrase zur wirklichen, bitterernsten und heiligen Lebensregel zu machen, die sozialistische Internationale aus einem leeren Schaugepränge zur realen Macht zu gestalten und sie zu einem felsenfesten Damm auszubauen, an dem sich die Sturzwellen des kapitalistischen Imperialismus fernerhin brechen werden. Wollen wir aus dem Abgrund der Schmach uns emporarbeiten, in den wir gestürzt sind, dann müssen wir den deutschen wie den französischen und jeden anderen klassenbewußten Proletarier in dem Gedanken erziehen: Die Weltverbrüderung der Arbeiter ist mir das Heiligste und Höchste auf Erden, sie ist mein Leitstern, mein Ideal, mein Vaterland; lieber lasse ich mein Leben, als daß ich diesem Ideal untreu werde!

Und nun wollen gerade von alledem die Genossen Ledebour und Hoffmann nichts wissen. Sie wollen nach dem Kriege einfach den alten Jammer wiederherstellen; jede nationale Partei soll nach wie vor freie Hand haben, mit den Beschlüssen der Internationale Schindluder zu treiben, wir sollen wieder alle paar Jahre prunkvolle Kongresse, schöne Reden, Feuerwerke der Begeisterung, dröhnende Manifeste und kühne Resolutionen erleben, wenn es aber zur Tat kommt, soll wieder die Internationale völlig ohnmächtig dastehen und vor der verlogenen Phrase der „Vaterlandsverteidigung” wie ein Spuk der Nacht vor der blutigen Wirklichkeit weichen! Die Ledebour und Genossen haben also aus diesem furchtbaren Kriege nichts gelernt! Aber, Genossen und Genossinnen, es gibt kein schlimmeres

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