Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 175

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auf neuer Bahn sein konnte, ein erstes vernehmbares Signal, dem eine nachdrückliche, konsequente Aktion im Geiste des Klassenkampfes auf der ganzen Linie folgen mußte. Was haben wir statt dessen erlebt? Die Ledebour, Haase und Genossen ruhen sich seitdem auf den Lorbeeren ihrer Kreditverweigerung aus – sie führen ein Schattendasein.

Nehmen wir nur einige Beispiele. In der famosen „Baralong”-Affäre[1] hat sich die sozialdemokratische Fraktion durch die Rede Noskes und sein Krächzen nach blutigen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Engländer mit so unerhörter Schmach bedeckt, daß sogar anständige bürgerliche Liberale für uns erröten müßten, wenn es noch eine solche Menschengattung in deutschen Landen geben würde. Es schien nach dem 4. August, nach allem, was darauf gefolgt war, daß unsere Partei so tief im Sumpfe liegt, wie es nicht tiefer sein kann. Aber die „umgelernten” Sozialimperialisten bringen immer noch neue Überraschungen zustande. Ihre politische und moralische Korruption scheint überhaupt mit gewöhnlichem Maß nicht meßbar zu sein. In der „Baralong”-Affäre haben sie durch das Aufhetzen der bestialischen Kriegsinstinkte sogar die Konservativen übertrumpft und beschämt. Und was hat nach einem solchen unerhörten Vorgang ein Mann der Opposition, der Genosse Ledebour, getan? Statt mit einem Donnerwetter dreinzufahren, statt vor aller Welt im Namen des deutschen Proletariats jede Gemeinschaft mit den Noske und seinesgleichen von sich zu weisen, statt dessen stimmte Ledebour selbst in das Geheul ein, akzeptierte grundsätzlich die Vergeltungspolitik der Noske und Genossen und schwang sich nur dazu auf, um maßvolle Anwendung des bestialischen Prinzips zu betteln.

Die unglaublichen Worte Ledebours am 15. Januar lauteten nach dem Stenogramm folgendermaßen:

„Meine Herren, in der Beurteilung des Falles ,Baralong’ an sich, also der Untat, die zur See von englischen Seeleuten gegenüber tapferen deutschen Seeleuten begangen worden ist, weiß ich mich eins mit allen Vorrednern. Ich verzichte darauf, ihre Ausführungen noch irgendwie in Worten zu ergänzen.”[2] [Hervorhebung – R. L.]

Und diese „Vorredner” waren: Noske von den Sozialimperialisten, Spahn vom Zentrum, Fischbeck vom Freisinn, der Knuten-Oertel von den Konservativen! Mit ihnen allen wußte sich Ledebour „eins” in der Beurteilung der Affäre.

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[1] Der britische Hilfskreuzer „Baralong” hatte am 19. August 1915 ein deutsches U-Boot versenkt und die schiffbrüchige Besatzung getötet.

[2] Verhandlungen des Reichstags. XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 306. Stenographische Berichte, Berlin 1916, S. 674.