Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 174

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Kriegsglück auch fernerhin dem deutschen Militarismus treu bleibt? Welcher verständige General würde heute schwören wollen, daß sich das Blatt unmöglich wenden und etwa die Russen wieder in Ostpreußen einrücken könnten? Und falls dies geschieht, was dann? Dann müßten ja die Ledebour, Geyer, Haase im Reichstag in Konsequenz ihrer eigenen Erklärung für die Kriegskredite stimmen! Das ist also keine grundsätzliche Taktik, sondern eine Konjunkturpolitik, die auf die momentane Lage des Kriegsschauplatzes zugeschnitten ist, das ist die berühmte Politik von Fall zu Fall, die alte opportunistische Schaukel, auf der es die Partei ja gerade bis zur Herrlichkeit des 4. August 1914 gebracht hat.

Doch die Sache hat noch eine sehr ernste Seite. Wenn nach der Erklärung der Ledebour-Haase die deutschen Sozialdemokraten heute gegen die Kriegskredite stimmen dürfen, weil die deutschen Landesgrenzen gesichert seien, wie steht es dann mit den französischen, belgischen, russischen, serbischen Genossen, in deren Ländern der Feind steht? Der einfachste Arbeiter kann sich an den Fingern abzählen, daß dieser Satz der Erklärung den Genossen in den anderen Ländern die schönste Handhabe bietet, um ihre nationalistische Politik zu rechtfertigen. In der Tat haben bereits französische Genossen von der nationalistischen Mehrheit ihn als die beste Bekräftigung ihrer eigenen Haltung eifrig aufgegriffen. Da haben wir also wieder die Spaltung der Internationale, da haben wir wieder die Politik, die die Sozialisten der verschiedenen Länder nicht gemeinsam gegen den Krieg und die herrschenden Klassen, sondern gegeneinander führt, ganz wie es das Kommando des Imperialismus befiehlt. Also auch hier kommen wir genau auf den Boden jener Mehrheitspolitik, die uns und die Internationale zugrunde gerichtet hat.

Und nun fragen wir, Genossinnen und Genossen, wenn man so die Dinge ernst und kritisch betrachtet: War die Abstimmung der Ledebour, Haase und Genossen am 21. Dezember ein Schritt vorwärts? War es die rettende Tat, auf die wir alle mit Qual im Herzen warteten, nach der die Massen lechzten? Nein und abermals nein! Jene Abstimmung mit jener Erklärung, das war ein Schritt vorwärts und ein Schritt zurück, das war wieder einmal eine angenehme Täuschung, daß etwas sich zum Besseren wende, hinter der aber eine um so bitterere Enttäuschung unvermeidlich war.

Und die Enttäuschung folgte auch richtig auf dem Fuße. Es ist klar, daß jene Abstimmung gegen die Kriegskredite, selbst wenn sie nicht durch die unglückselige Erklärung im Kern verpfuscht wäre, doch nicht die ganze Politik der Opposition erschöpfen, sondern bloß der erste Schritt

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