Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 173

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Opposition, wie sie von Ledebour, Haase und ihren Freunden vertreten wird. Nachdem sie viermal hintereinander im Reichstag die Bewilligung der Kriegskredite gehorsam geduldet und sich so zu Mitschuldigen des Verrates am Sozialismus gemacht haben, rafften sie sich endlich am 21. Dezember 1915 dazu auf, im Plenum dagegen zu stimmen. Endlich! haben sich die Arbeiter gesagt. Endlich eine öffentliche Absage an die Politik des nationalistischen Schwindels. Endlich wenigstens 20 Mann im Parlament, die den Sozialismus hochhalten! Der Wahn war kurz, und an der „mutigen Tat” konnten nur diejenigen ungetrübte Freude haben, die ganz oberflächlich die Dinge betrachten, ohne ihnen mit kritischem Blick auf den Grund zu sehen. Über ihre Verweigerung der Kredite haben die Geyer und Genossen im Reichstag eine Erklärung abgegeben, die alles wieder zunichte macht, was sie durch die Abstimmung Gutes geleistet haben. Denn warum haben sie diesmal gegen die Kredite gestimmt? „Unsere Landesgrenzen sind gesichert”, lautet ihre Erklärung. Was die guten Leute mit diesen Worten bezweckten, auf wen sie Rücksicht nehmen zu müssen glaubten, bleibt ihre Sache. Der Außenstehende, der nicht in die große Diplomatie eingeweiht ist, die hinter den Kulissen zu dieser Erklärung geführt haben mag, wird sie so verstehen: Die Zwanzig stimmten offenbar diesmal gegen die Kredite, weil die deutschen Landesgrenzen gesichert seien. Also nicht deshalb, weil wir grundsätzliche Gegner des Militarismus und des Krieges sind, nicht deshalb, weil dieser Krieg ein imperialistisches Verbrechen an allen Völkern ist, sondern weil die Hindenburg, Mackensen und Kluck bereits genug Russen, Franzosen und Belgier niedergemetzelt und in ihren Ländern Fuß gefaßt haben, deshalb darf sich schon ein deutscher Sozialdemokrat den Luxus gestatten, gegen die Kriegsausgaben zu stimmen! Aber damit stellen sich die Geyer und Genossen grundsätzlich auf den Boden der Mehrheitspolitik. Danach unterstützen sie den frechen Schwindel, wonach dieser Krieg überhaupt von Anfang an als ein Verteidigungskrieg zur Sicherung der Landesgrenzen hingestellt wurde. Was sie von der Mehrheit scheidet, ist also nicht grundsätzliche Auffassung der ganzen Stellung zum Kriege, sondern bloß verschiedene Beurteilung der militärischen Lage. Nach den Scheidemann, David, Heine sind die deutschen Landesgrenzen noch immer nicht gesichert, nach den Haase, Ledebour, Geyer sind sie bereits gesichert. Allein, jeder verständige Mensch muß zugeben, daß, wenn man sich schon auf die nackte Beurteilung der militärischen Lage einläßt, der Standpunkt der Scheidemann, David, Heine konsequenter ist als der Standpunkt der Ledebour und Haase. Denn wer will die Garantie übernehmen, daß das

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