Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 160

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um sich fortab in seinem Schatten vom Gnadenknochen seiner Siege zu nähren.

Die geschichtliche Dialektik bewegt sich eben in Widersprüchen und setzt auf jede Notwendigkeit auch ihr Gegenteil in die Welt. Die bürgerliche Klassenherrschaft ist zweifellos eine historische Notwendigkeit, aber auch der Aufruhr der Arbeiterklasse gegen sie; das Kapital ist eine historische Notwendigkeit, aber auch sein Totengräber, der sozialistische Proletarier; die Weltherrschaft des Imperialismus ist eine historische Notwendigkeit, aber auch ihr Sturz durch die proletarische Internationale. Auf Schritt und Tritt gibt es zwei historische Notwendigkeiten, die zueinander in Widerstreit geraten, und die unsrige, die Notwendigkeit des Sozialismus, hat einen längeren Atem. Unsere Notwendigkeit tritt in ihr volles Recht mit dem Moment, wo jene andere, die bürgerliche Klassenherrschaft, aufhört, Trägerin des geschichtlichen Fortschritts zu sein, wo sie zum Hemmschuh, zur Gefahr für die weitere Entwicklung der Gesellschaft wird. Dies hat für die kapitalistische Gesellschaftsordnung gerade der heutige Weltkrieg enthüllt.

Der imperialistische Expansionsdrang des Kapitalismus als der Ausdruck seiner höchsten Reife, seines letzten Lebensabschnitts, hat zur ökonomischen Tendenz, die gesamte Welt in [eine] kapitalistisch produzierende zu verwandeln, alle veralteten, vorkapitalistischen Produktions-und Gesellschaftsformen wegzufegen, alle Reichtümer der Erde und alle Produktionsmittel zum Kapital, die arbeitenden Volksmassen aller Zonen zu Lohnsklaven zu machen. In Afrika und in Asien, vom nördlichsten Gestade bis zur Südspitze Amerikas und in der Südsee werden die Überreste alter urkommunistischer Verbände, feudaler Herrschaftsverhältnisse, patriarchalischer Bauernwirtschaften, uralter Handwerksproduktionen vom Kapital vernichtet, zerstampft, ganze Völker ausgerottet, uralte Kulturen dem Erdboden gleichgemacht, um an ihre Stelle die Profitmacherei in modernster Form zu setzen. Dieser brutale Siegeszug des Kapitals in der Welt, gebahnt und begleitet durch alle Mittel der Gewalt, des Raubes und der Infamie, hatte eine Lichtseite: Er schuf die Vorbedingungen zu seinem eigenen endgültigen Untergang, er stellte die kapitalistische Weltherrschaft her, auf die allein die sozialistische Weltrevolution folgen kann. Dies war die einzige kulturelle und fortschrittliche Seite seiner sogenannten großen Kulturwerke in den primitiven Ländern. Für bürgerlich-liberale Ökonomen und Politiker sind Eisenbahnen, schwedische Zündhölzer, Straßenkanalisation und Kaufhäuser „Fortschritt” und „Kultur”. An sich sind jene Werke, auf die primitiven Zustände gepfropft, weder Kultur

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