Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 159

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gern des imperialistischen Weltkrieges ihre eigene Politik entgegenzustellen.

Aber diese Politik kann nicht darin bestehen, daß die sozialdemokratischen Parteien jede für sich oder gemeinsam auf Internationalen Konferenzen um die Wette Projekte machen und Rezepte für die bürgerliche Diplomatie ausklügeln, wie diese den Frieden schließen soll, um die weitere friedliche und demokratische Entwicklung zu ermöglichen. Alle Forderungen, die etwa auf die völlige oder stückweise „Abrüstung”, auf die Abschaffung der Geheimdiplomatie, auf Zerschlagung aller Großstaaten in nationale Kleinstaaten und dergleichen mehr hinauslaufen, sind samt und sonders völlig utopisch, solange die kapitalistische Klassenherrschaft das Heft in den Händen behält. Diese kann zumal unter dem jetzigen imperialistischen Kurs so wenig auf den heutigen Militarismus, auf die Geheimdiplomatie, auf den zentralistischen gemischtnationalen Großstaat verzichten, daß die betreffenden Postulate eigentlich mit mehr Konsequenz allesamt auf die glatte „Forderung” hinauslaufen: Abschaffung des kapitalistischen Klassenstaates. Nicht mit utopischen Ratschlägen und Projekten, wie der Imperialismus im Rahmen des bürgerlichen Staates durch partielle Reformen zu mildern, zu zähmen, zu dämpfen wäre, kann die proletarische Politik sich wieder den ihr gebührenden Platz erobern. Das eigentliche Problem, das der Weltkrieg vor die sozialistischen Parteien gestellt hat und von dessen Lösung die weiteren Schicksale der Arbeiterbewegung abhängen, das ist die Aktionsfähigkeit der proletarischen Massen im Kampfe gegen den Imperialismus. Nicht an Postulaten, Programmen, Losungen fehlt es dem Internationalen Proletariat, sondern an Taten, an wirksamem Widerstand, an der Fähigkeit, den Imperialismus im entscheidenden Moment gerade im Kriege anzugreifen und die alte Losung „Krieg dem Kriege!” in die Praxis umzusetzen. Hier ist der Rhodus, wo es zu springen gilt, hier der Knotenpunkt der proletarischen Politik und ihrer ferneren Zukunft.

Der Imperialismus mit all seiner brutalen Gewaltpolitik und Kette unaufhörlicher sozialer Katastrophen, die er provoziert, ist freilich für die herrschenden Klassen der heutigen kapitalistischen Welt eine historische Notwendigkeit. Nichts wäre verhängnisvoller, als wenn sich das Proletariat selbst aus dem jetzigen Weltkriege die geringste Illusion und Hoffnung auf die Möglichkeit einer idyllischen und friedlichen Weiterentwicklung des Kapitalismus retten würde. Aber der Schluß, der aus der geschichtlichen Notwendigkeit des Imperialismus für die proletarische Politik folgt, ist nicht, daß sie vor dem Imperialismus kapitulieren muß,

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