Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 157

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/157

nur ein Vorspiel zum alsbaldigen zweiten Weltkrieg und dadurch nur ein Signal zu neuen fieberhaften militärischen Rüstungen sowie zur Entfesselung der schwärzesten Reaktion in allen Ländern, aber in erster Linie in Deutschland selbst. Auf der anderen Seite führt der Sieg Englands und Frankreichs für Deutschland höchstwahrscheinlich zum Verlust wenigstens eines Teils der Kolonien sowie der Reichslande und ganz sicher zum Bankrott der weltpolitischen Stellung des deutschen Imperialismus. Das bedeutet aber: die Zerstückelung Österreich-Ungarns und die gänzliche Liquidierung der Türkei. So erzreaktionäre Gebilde nun beide Staaten sind und sosehr ihr Zerfall an sich den Anforderungen der fortschrittlichen Entwicklung entspricht, in dem heutigen konkreten weltpolitischen Milieu könnte der Zerfall der Habsburgischen Monarchie wie der Türkei auf nichts anderes hinauslaufen als auf die Verschacherung ihrer Länder und Völker an Rußland, England, Frankreich und Italien. An diese grandiose Weltumteilung und Machtverschiebung am Balkan und am Mittelmeer würde sich aber eine weitere in Asien, die Liquidierung Persiens und eine neue Zerstückelung Chinas, unaufhaltsam anschließen. Damit rückten der englisch-russische sowie der englisch-japanische Gegensatz in den Vordergrund der Weltpolitik, was vielleicht schon im unmittelbaren Anschluß an die Liquidierung des heutigen Weltkrieges einen neuen Weltkrieg etwa um Konstantinopel nach sich ziehen, ihn jedenfalls zur unausweichlichen weiteren Perspektive machen würde. Auch von dieser Seite führt der Sieg also dazu, neue fieberhafte Rüstungen in allen Staaten – das besiegte Deutschland selbstverständlich mit an der Spitze – und damit eine Ära der ungeteilten Herrschaft des Militarismus und der Reaktion in ganz Europa vorzubereiten mit einem neuen Weltkrieg als Endziel.

So ist die proletarische Politik, wenn sie vom Standpunkte des Fortschritts und der Demokratie für die eine oder die andere Seite im heutigen Kriege Partei ergreifen sollte, die Weltpolitik und ihre weiteren Perspektiven im ganzen genommen, zwischen der Scylla und der Charybdis eingeschlossen, und die Frage Sieg oder Niederlage kommt unter diesen Umständen für die europäische Arbeiterklasse in politischer genau wie in ökonomischer Beziehung auf die hoffnungslose Wahl zwischen zwei Trachten Prügel hinaus. Es ist deshalb nichts als ein verhängnisvoller Wahn, wenn die französischen Sozialisten vermeinen, durch militärische Niederwerfung Deutschlands den Militarismus oder gar den Imperialismus aufs Haupt zu schlagen und der friedlichen Demokratie die Bahn in der Welt zu brechen. Der Imperialismus und in seinem Dienste der Militarismus kommen vielmehr bei jedem Siege und bei jeder Niederlage in diesem

Nächste Seite »