Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 156

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auf Kosten des französischen oder der englische auf Kosten des deutschen gekräftigt wird.

Wenden wir uns aber an die politischen Ergebnisse des Krieges. Hier dürfte die Unterscheidung leichter sein als auf dem ökonomischen Gebiete. Seit jeher wandten sich die Sympathien und die Parteinahme der Sozialisten derjenigen kriegführenden Seite zu, die den historischen Fortschritt gegen die Reaktion verfocht. Welche Seite vertritt in dem heutigen Weltkriege den Fortschritt und welche die Reaktion? Es ist klar, daß diese Frage nicht nach den äußerlichen Merkmalen der kriegführenden Staaten wie „Demokratie” oder „Absolutismus” beurteilt werden kann, sondern lediglich nach den objektiven Tendenzen der von jeder Seite vertretenen weltpolitischen Stellung. Ehe wir beurteilen können, was ein deutscher Sieg dem deutschen Proletariat eintragen kann, müssen wir ins Auge fassen, wie er auf die Gesamtgestaltung der politischen Verhältnisse Europas einwirken würde. Der entschiedene Sieg Deutschlands würde als nächstes Ergebnis die Annexion Belgiens sowie möglicherweise noch einiger Landstriche im Osten und Westen und eines Teils der französischen Kolonien herbeiführen, zugleich die Erhaltung der Habsburgischen Monarchie und ihre Bereicherung um neue Gebiete, endlich die Erhaltung einer fiktiven „Integrität” der Türkei unter deutschem Protektorat, d. h. gleichzeitige Verwandlung Kleinasiens und Mesopotamiens in dieser oder jener Form faktisch in deutsche Provinzen. Im weiteren Ergebnis würde daraus die tatsächliche militärische und ökonomische Hegemonie Deutschlands in Europa folgen. Alle diese Resultate eines durchgreifenden militärischen Sieges Deutschlands sind nicht etwa deshalb zu gewärtigen, weil sie den Wünschen imperialistischer Schreier im heutigen Kriege entsprechen, sondern weil sie sich als ganz unvermeidliche Konsequenzen aus der einmal eingenommenen weltpolitischen Position Deutschlands ergeben, aus den Gegensätzen zu England, Frankreich und Rußland, in die sich Deutschland hineingerannt und die sich im Laufe des Krieges selbst über ihre anfänglichen Dimensionen ungeheuer hinausgewachsen haben. Es genügt jedoch, sich diese Resultate zu vergegenwättigen, um einzusehen, daß sie unter keinen Umständen ein irgendwie haltbares weltpolitisches Gleichgewicht ergeben würden. Wie sehr auch der Krieg für alle Beteiligten und vielleicht noch mehr für die Besiegten einen Ruin bedeuten mag, die Vorbereitungen zu einem neuen Weltkriege unter Englands Führung würden am anderen Tage nach dem Friedensschluß beginnen, um das Joch des preußisch-deutschen Militarismus, das auf Europa und Vorderasien lasten würde, abzuschütteln. Ein Sieg Deutschlands wäre somit

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