Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 149

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Putsch „vorbereiten”, können ihren paar Dutzend Anhängern im nötigen Moment das Signal zum „Losschlagen” geben. Massenbewegungen in großen historischen Augenblicken können mit dergleichen primitiven Mitteln nicht geleitet werden. Der „bestvorbereitete” Massenstreik kann unter Umständen just, wenn ein Parteivorstand zu ihm „das Signal” gibt, kläglich versagen oder nach einem ersten Anlauf platt zu Boden fallen. Ob große Volkskundgebungen und Massenaktionen, sei es in dieser oder jener Form, wirklich stattfinden, darüber entscheidet die ganze Menge ökonomischer, politischer und psychischer Faktoren, die jeweilige Spannung der Klassengegensätze, der Grad der Aufklärung, die Reife der Kampfstimmung der Massen, die unberechenbar sind und die keine Partei künstlich erzeugen kann. Das ist der Unterschied zwischen den großen Krisen der Geschichte und den kleinen Paradeaktionen, die eine gut disziplinierte Partei im Frieden sauber nach dem Taktstock der „Instanzen” ausführen kann. Die geschichtliche Stunde heischt jedesmal die entsprechenden Formen der Volksbewegung und schafft sich selbst neue, improvisiert vorher unbekannte Kampfmittel, sichtet und bereichert das Arsenal des Volkes, unbekümmert um alle Vorschriften der Parteien.

Was die Führer der Sozialdemokratie als der Vorhut des klassenbewußten Proletariats zu geben hatten, waren also nicht lächerliche Vorschriften und Rezepte technischer Natur, sondern die politische Losung, die Klarheit über die politischen Aufgaben und Interessen des Proletariats im Kriege. Auf jede Massenbewegung paßt nämlich, was sich von den Massenstreiks in der russischen Revolution sagen ließ:

„Wenn aber die Leitung der Massenstreiks im Sinne des Kommandos über ihre Entstehung und im Sinne der Berechnung und Deckung ihrer Kosten Sache der revolutionären Periode selbst ist, so kommt dafür die Leitung in einem ganz anderen Sinne der Sozialdemokratie und ihren führenden Organen zu. Statt sich mit der technischen Seite, mit dem Mechanismus der Massenstreiks fremden Kopf zu zerbrechen, ist die Sozialdemokratie berufen, die politische Leitung auch mitten in der Revolutionsperiode zu übernehmen. Die Parole, die Richtung dem Kampfe zu geben, die Taktik des politischen Kampfes so einzurichten, daß in jeder Phase und in jedem Moment die ganze Summe der vorhandenen und bereits ausgelösten, betätigten Macht des Proletariats realisiert wird und in der Kampfstellung der Partei zum Ausdruck kommt, daß die Taktik der Sozialdemokratie nach ihrer Entschlossenheit und Schärfe nie unter dem Niveau des tatsächlichen Kräfteverhältnisses steht, sondern vielmehr diesem Verhältnis vorauseilt, das ist die wichtige Aufgabe der ,Leitung’ in

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