Denken wir uns für einen Augenblick – um das Phantom des „nationalen Krieges”, das die sozialdemokratische Politik gegenwärtig beherrscht, nachzuprüfen –, daß in einem der heutigen Staaten der Krieg in seinem Ausgangspunkt tatsächlich als reiner nationaler Verteidigungskrieg begonnen hat, so führt vor allem militärischer Erfolg zur Besetzung fremder Gebiete. Bei dem Vorhandensein höchst einflußreicher kapitalistischer Gruppen aber, die an imperialistischen Erwerbungen interessiert sind, werden im Laufe des Krieges selbst Expansionsappetite geweckt, die imperialistische Tendenz, die zu Beginn des Krieges erst im Keime vorhanden war oder schlummerte, wird im Verlauf des Krieges selbst wie in einer Treibhausatmosphäre aufwuchern und den Charakter des Krieges, seine Ziele und Ergebnisse bestimmen. Ferner: Das System der Bündnisse zwischen den Militärstaaten, das seit Jahrzehnten die politischen Beziehungen der Staaten beherrscht, bringt es mit sich, daß jede der kriegführenden Parteien im Verlaufe des Krieges auch aus reinen Defensivrücksichten Bundesgenossen auf ihre Seite zu bringen sucht. Dadurch werden immer weitere Länder in den Krieg mit hineingezogen und damit unvermeidlich imperialistische Kreise der Weltpolitik berührt und neue geschaffen. So hat auf der einen Seite England Japan hineingezogen, den Krieg aus Europa auf Ostasien übergeleitet und die Schicksale Chinas auf die Tagesordnung gestellt, die Rivalitäten zwischen Japan und den Vereinigten Staaten, zwischen England und Japan geschürt, also neuen Stoff zu künftigen Konflikten gehäuft. So hat auf der anderen Seite Deutschland die Türkei in den Krieg gezerrt, wodurch die Frage Konstantinopels, der ganze Balkan und Vorderasien unmittelbar zur Liquidierung gestellt worden sind. Wer nicht begriff, daß der Weltkrieg schon in seinen Ursachen und Ausgangspunkten ein rein imperialistischer war, kann nach diesen Wirkungen jedenfalls einsehen, daß der Krieg sich unter den jetzigen Bedingungen ganz mechanisch, unabwendbar zum imperialistischen Weltumteilungsprozeß auswachsen mußte. Ja, er ist schon fast vom ersten Augenblick seiner Dauer zu einem solchen geworden. Das beständig schwankende Gleichgewicht der Kräfte zwischen den kämpfenden Parteien zwingt jede von ihnen, schon aus rein militärischen Gesichtspunkten, um die eigene Position zu stärken oder Gefahren neuer Feindseligkeiten zu verhüten, auch die Neutralen durch intensiven Völker- und Länderschacher im Zügel zu halten. Siehe einerseits die deutsch-österreichischen, andererseits die englisch-russischen „Angebote” in Italien, in Rumänien, in Griechenland und Bulgarien. Der angeblich „nationale Verteidigungskrieg” hat so die frappante Wirkung, daß er sogar bei unbeteiligten