Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 126

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vom 4. August und auch die vom 2. Dezember gegen die Ohrfeige des Belagerungszustands. Mit dem Burgfrieden und den Kriegskrediten bewilligte die Sozialdemokratie stillschweigend den Belagerungszustand, der sie selbst geknebelt den herrschenden Klassen vor die Füße legte. Damit erkannte sie zugleich an, daß zur Verteidigung des Vaterlandes der Belagerungszustand, die Knebelung des Volkes, die Militärdiktatur notwendig seien. Aber der Belagerungszustand war gegen niemand anderen als gegen die Sozialdemokratie gerichtet. Nur von ihrer Seite konnte man Widerstand, Schwierigkeiten und Protestaktionen gegen den Krieg erwarten. Im gleichen Atem, wo man unter Zustimmung der Sozialdemokratie den Burgfrieden, also Aufhebung der Klassengegensätze, proklamierte, wurde sie selbst, die Sozialdemokratie, in Belagerungszustand erklärt, gegen die Arbeiterklasse der Kampf in seiner schärfsten Gestalt, in der Form der Militärdiktatur, proklamiert. Als Frucht ihrer Kapitulation erhielt die Sozialdemokratie, was sie im schlimmsten Falle einer Niederlage bei entschlossenem Widerstand erhalten hätte: den Belagerungszustand! Die feierliche Erklärung der Reichstagsfraktion beruft sich zur Begründung der Kreditbewilligung auf das sozialistische Prinzip: das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Der erste Schritt der „Selbstbestimmung” der deutschen Nation in diesem Kriege war die Zwangsjacke des Belagerungszustandes, in die man die Sozialdemokratie steckte! Eine größere Selbstverhöhnung einer Partei hat die Geschichte wohl kaum je gesehen.

Mit der Annahme des Burgfriedens hat die Sozialdemokratie für die Dauer des Krieges den Klassenkampf verleugnet. Aber damit verleugnete sie die Basis der eigenen Existenz, der eigenen Politik. Was ist jeder ihrer Atemzüge sonst als Klassenkampf? Welche Rolle konnte sie nun während der Dauer des Krieges spielen, nachdem sie ihr Lebensprinzip, den Klassenkampf, preisgegeben hatte? Mit der Verleugnung des Klassenkampfes gab sich die Sozialdemokratie für die Dauer des Krieges selbst den Laufpaß als aktive politische Partei, als Vertreterin der Arbeiterpolitik. Damit schlug sie sich aber auch ihre wichtigste Waffe aus der Hand: die Kritik des Krieges vom besonderen Standpunkt der Arbeiterklasse. Sie überließ die „Vaterlandsverteidigung” den herrschenden Klassen und begnügte sich damit, die Arbeiterklasse unter deren Kommando zu stellen und für die Ruhe unter dem Belagerungszustand zu sorgen, d. h. die Rolle des Gendarmen der Arbeiterklasse zu spielen.

Durch ihre Haltung hat die Sozialdemokratie aber auch noch weit über die Dauer des heutigen Krieges hinaus die Sache der deutschen Freiheit, für die nach der Fraktionserklärung die Krupp-Kanonen jetzt sorgen, aufs

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