Bankrott, sondern bloß ein natürlicher Abschluß des ersten Kapitels, dem weitere mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes folgen müssen. Die zweite Ursache war wieder äußerer Natur: Sie lag in Westeuropa. Die europäische Reaktion eilte wieder ihrem bedrängten Schützling zu Hilfe. Noch nicht mit Pulver und Blei, obwohl „deutsche Gewehrkolben” bereits 1905 in „deutschen Fäusten” nur auf einen Wink aus Petersburg warteten, um nach dem benachbarten Polen einzuschreiten. Aber mit Hilfsmitteln, die ebenso wirksam waren, mit finanziellen Subsidien und mit politischen Allianzen, griff man dem Zarismus unter die Arme. Für französisches Geld schaffte er sich die Kartätschen an, mit denen er die russischen Revolutionäre niederschlug, und aus Deutschland bezog er die moralische und politische Stärkung, um aus der Tiefe der Schmach heraufzuklettern, in die ihn die japanischen Torpedos und die russischen Proletarierfäuste hinabgestoßen hatten. 1910 in Potsdam empfing das offizielle Deutschland den russischen Zarismus mit offenen Armen.[1] Der Empfang des Blutbesudelten vor den Toren der deutschen Reichshauptstadt war nicht bloß der Segen Deutschlands über die Erwürgung Persiens[2], sondern vor allem über die Henkerarbeit der russischen Konterrevolution, war das offizielle Bankett der deutschen und europäischen „Kultur” auf dem vermeintlichen Grabe der russischen Revolution. Und merkwürdig! Damals, als sie diesem herausfordernden Leichenschmaus auf den Hekatomben der russischen Revolution in ihrem eigenen Heim beiwohnte, schwieg die deutsche Sozialdemokratie vollständig und hatte das „Vermächtnis unserer Altmeister” aus dem Jahre 1848 total vergessen. Während zu Beginn des Krieges, seit es die Polizei erlaubt, das kleinste Parteiblatt sich in blutigen Ausdrücken gegen den Henker der russischen Freiheit berauschte, hat 1910, als der Henker in Potsdam gefeiert wurde, kein Ton, keine Protestaktion, kein Artikel die Solidarität mit der russischen Freiheit bekundet, gegen die Unterstützung der russischen Konterrevolution ein Veto eingelegt! Und doch hat gerade die Triumphreise des Zaren 1910 in Europa besser als alles andere enthüllt, daß die niedergeschlagenen russischen Proletarier nicht bloß Opfer der heimatlichen Reak-
[1] Im November 1910 hatte der Zar Deutschland besucht. Die Außenminister beider Staaten verhandelten während dieser Zeit in Potsdam über die Abgrenzung der beiderseitigen Interessen in Persien und über die Bagdadbahn.
[2] Unter dem Einfluß der Revolution in Rußland 1905 hatte sich in Persien eine bürgerlich-demokratische Massenbewegung entwickelt, die zur Einschränkung des Absolutismus und zur Einführung der konstitutionellen Regierungsform geführt hatte. Mit aktiver Unterstützung Großbritanniens und des zaristischen Rußlands, die im Süden bzw. Norden Persiens die revolutionären Kräfte mit Waffengewalt unterdrückten, gelang es den reaktionären Kräften in Persien Ende 1911, die Revolution niederzuschlagen.