Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 90

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der Verfassung, d. h. auch in dieser Hinsicht die formelle Rückkehr zum Regiment Abdul Hamids.

Der von deutscher Seite gedrillte türkische Militarismus machte schon im ersten Balkankrieg elend bankrott. Und der jetzige Krieg, in dessen unheimlichen Strudel die Türkei als Deutschlands „Schützling” hineingestoßen worden ist, wird, wie der Krieg auch ausgehen mag, mit unabwendbarer Fatalität zur weiteren oder gar definitiven Liquidation des türkischen Reiches führen.

Die Position des deutschen Imperialismus – und in dessen Kern das Interesse der Deutschen Bank – hat das Deutsche Reich im Orient in Gegensatz zu allen anderen Staaten gebracht. Vor allem zu England. Dieses hatte nicht bloß konkurrierende Geschäfte und damit fette Kapitalprofite in Anatolien und Mesopotamien an den deutschen Rivalen abtreten müssen, womit es sich schließlich abfand. Die Errichtung strategischer Bahnen und die Stärkung des türkischen Militarismus unter deutschem Einfluß wurden aber hier an einem der weltpolitisch empfindlichsten Punkte für England vorgenommen: in einem Kreuzungspunkt zwischen Zentralasien, Persien, Indien einerseits und Ägypten andererseits.

„England”, schrieb Rohrbach in seiner „Bagdadbahn”, „kann von Europa aus nur an einer Stelle zu Lande angegriffen und schwer verwundet werden: in Ägypten. Mit Ägypten würde England nicht nur die Herrschaft über den Suezkanal und die Verbindung mit Indien und Ostasien, sondern wahrscheinlich auch seine Besitzungen in Zentral- und Ostafrika verlieren. Die Eroberung Ägyptens durch eine mohammedanische Macht wie die Türkei könnte außerdem gefährliche Rückwirkungen auf die 60 Millionen mohammedanischer Untertanen Englands in Indien, dazu auf Afghanistan und Persien haben. Die Türkei aber kann nur unter der Voraussetzung an Ägypten denken, daß sie über ein ausgebautes Eisenbahnsystem in Kleinasien und Syrien verfügt, daß sie durch die Fortführung der anatolischen Bahn nach Bagdad einen Angriff Englands auf Mesopotamien abwehren kann, daß sie ihre Armee vermehrt und verbessert und daß ihre allgemeine Wirtschaftslage und ihre Finanzen Fortschritte machen.”[1]

Und in seinem zu Beginn des Weltkrieges erschienenen Buche „Der Krieg und die deutsche Politik” sagt er:

„Die Bagdadbahn war von Anfang an dazu bestimmt, Konstantinopel und die militärischen Kerngebiete des türkischen Reiches in Kleinasien in unmittelbare Verbindung mit Syrien und den Provinzen am Euphrat und Tigris zu bringen … Natürlich war vorauszusehen, daß die Bahn im Ver-

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[1] Paul Rohrbach: Die Bagdadbahn, Berlin 1911, 5.18 f.