Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 86

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rat des „selbständigen türkischen Staates”, die „Integrität” der Türkei zu erhalten, so lange, bis sie, vom deutschen Kapital von innen heraus zerfressen wie früher Ägypten von den Engländern oder neuerdings Marokko von den Franzosen, als reife Frucht Deutschland in den Schoß fallen wird. Sagt doch z. B. der bekannte Wortführer des deutschen Imperialismus, Paul Rohrbach, ganz offen und ehrlich:

„Es liegt in der Natur der Verhältnisse begründet, daß die Türkei, auf allen Seiten von begehrlichen Nachbarn umgeben, ihren Rückhalt bei einer Macht findet, die möglichst keine territorialen Interessen im Orient hat. Das ist Deutschland. Wir wiederum würden beim Verschwinden der Türkei großen Schaden erleiden. Sind Rußland und England die Haupterben der Türken, so liegt es auf der Hand, daß jene beiden Staaten dadurch einen bedeutenden Machtzuwachs erhalten würden. Aber auch wenn die Türkei so geteilt würde, daß ein erhebliches Stück auf uns entfällt, so bedeutet das für uns Schwierigkeiten ohne Ende, denn Rußland, England und in gewissem Sinne auch Frankreich und Italien sind Nachbarn des jetzigen türkischen Besitzes und entweder zu Lande oder zur See oder auf beiden Wegen imstande, ihren Anteil zu besetzen und zu verteidigen. Wir dagegen stehen außer jeder direkten Verbindung mit dem Orient … Ein deutsches Kleinasien oder Mesopotamien könnte nur Wirklichkeit werden, wenn vorher zum mindesten Rußland und damit auch Frankreich zum Verzicht auf ihre gegenwärtigen politischen Ziele und Ideale gezwungen wären, d. h„ wenn vorher der Weltkrieg seinen Ausgang entschieden im Sinne der deutschen Interessen genommen hätte.” (Der Krieg und die deutsche Politik, [Dresden 1914,1 S. 36/37.) [Hervorhebungen – R. L.]

Deutschland, das am 8. November 1898 in Damaskus beim Schatten des großen Saladin feierlich schwur, die mohammedanische Welt und die grüne Fahne des Propheten zu schützen und zu schirmen[1], stärkte also ein Jahrzehnt lang mit Eifer das Regiment des Blutsultans Abdul Hamid und setzte nach einer kurzen Pause der Entfremdung das Werk an dem jungtürkischen Regime[2] fort. Die Mission erschöpfte sich außer den einträglichen Geschäften der Deutschen Bank hauptsächlich in der Reorganisa-

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[1] Wilhelm II. hatte sich während seiner Orientreise im Oktober/November 1898 bei der Ankunft in Damaskus zum Schutzherren des türkischen Sultans sowie aller Mohammedaner erklärt.

[2] Durch die bürgerlich-jungtürkische Revolution, die im Juli 1908 begonnen hatte, wurde eine Verfassung in Kraft gesetzt und ein Parlament einberufen und damit die absolutistische Herrschaft des Sultans Abdul Hamid II. beendet, der 1909 beim Versuch, die Revolution niederzuschlagen, abgesetzt wurde. Der rechte Flügel der Jungtürken errichtete eine Militärdiktatur, unter der die Volksmassen und die nationalen Bewegungen unterdrückt wurden. Die Jungtürken wurden im Juli 1912 von der anglo-feudalen Kompradorenpartei gestürzt, gelangten jedoch im Januar 1913 wieder an die Macht.