Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 8

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nicht die Schamröte ins Gesicht steigen würde. Da sind sie also wieder, die 42-Zentimeter-Geschütze – ins Sozialdemokratische übersetzt –, mit denen wir protzen, mit denen wir die Schwachen zum Schweigen bringen, wir, die Starken, wir, die Reichen, wir, die Macht!

Zerschnitten sind vorläufig die Bande der Internationale, übertäubt vom Donner der Geschütze ist der Ruf nach der Verbrüderung aller Proletarier. Aber aus tiefster Seele möchten wir unseren Brüdern im Ausland die Versicherung geben, daß nicht alle deutschen Sozialdemokraten so denken wie das „Hamburger Echo”, daß sich viele – vielleicht die Mehrheit – danach von Herzen sehnen, ihnen wieder die Bruderhand drücken, ihnen manches erklären und manches abbitten zu dürfen.

Siege verklingen, Kriege vergehen, und was nach ihnen bleibt, sind zunächst Leichenhügel, Trümmer, Brandstätten, Verwüstung und Elend. Früher oder später werden wir wieder mit unseren Brüdern von der Internationale Auge in Auge stehen. Wir sollten eingedenk sein, diesen Augenblick nicht noch bitterer zu machen, als er ohnehin sein wird. Wir sollten den regulären Krieg der imperialistischen Regierungen nicht durch einen brudermörderischen Franktireurkrieg der sozialistischen Presse begleiten. Wir sollten nicht vergessen, daß wir trotz der einst gefüllten Kassen und der großen Zahlen unserer Organisationen ohne die Internationale und gegen die Internationale als Sozialisten moralisch nichts sind und daß die Macht, die Ehre, die Zukunft der deutschen Arbeiterklasse in dem Bunde mit dem Weltproletariat wurzelte und wurzeln bleibt.

Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin),
Nr. 100 vom 17. September 1914.

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