Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 73

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rich selbst hat in seinem Tagebuch unter dem 14. November jenen Jahres diese Absicht des Kanzlers niedergeschrieben:

,,,Er (Bismarck) habe bei Übernahme seines Amtes den festen Vorsatz gehabt, Preußen zum Krieg mit Österreich zu bringen, aber sich wohl gehütet, damals oder überhaupt zu früh mit Sr. Majestät davon zu sprechen, bis er den Zeitpunkt für geeignet angesehen.’

Mit diesem Bekenntnis”, sagt Auer in seiner Broschüre „Die Sedanfeier und die Sozialdemokratie”, „vergleiche man nun den Wortlaut des Aufrufs, den König Wilhelm … ,an sein Volk’ richtete …

,Das Vaterland ist in Gefahr!

Österreich und ein großer Teil Deutschlands steht gegen dasselbe in Waffen!

Nur wenige Jahre sind es her, seit Ich aus freiem Entschlusse und ohne früherer Unbill zu gedenken, dem Kaiser von Österreich die Bundeshand reichte, als es galt, ein deutsches Land von fremder Herrschaft zu befreien … Aber Meine Hoffnung ist getäuscht worden. Österreich will nicht vergessen, daß seine Fürsten einst Deutschland beherrschten; in dem jüngeren, aber kräftig sich entwickelnden Preußen will es keinen natürlichen Bundesgenossen, sondern nur einen feindlichen Nebenbuhler erkennen. Preußen – so meint es – muß in allen seinen Bestrebungen bekämpft werden, weil, was Preußen frommt, Österreich schade. Die alte unselige Eifersucht ist in hellen Flammen wieder aufgelodert: Preußen soll geschwächt, vernichtet, entehrt werden. Ihm gegenüber gelten keine Verträge mehr, gegen Preußen werden deutsche Bundesfürsten nicht bloß aufgerufen, sondern zum Bundesbruch verleitet. Wohin wir in Deutschland schauen, sind wir von Feinden umgeben, deren Kampfgeschrei ist: Erniedrigung Preußens.’

Um für diesen gerechten Krieg den Segen des Himmels zu erflehen, erließ König Wilhelm für den 18. Juni die Anordnung eines allgemeinen Landes-Bet-und-Bußtages, worin er sagte:

,Es hat Gott nicht gefallen, Meine Bemühungen, die Segnungen des Friedens Meinem Volke zu erhalten, mit Erfolg zu krönen.’ „[1]

Mußte unserer Fraktion, wenn sie ihre eigene Parteigeschichte nicht gänzlich vergessen hatte, die offizielle Begleitmusik des Kriegsausbruchs am 4. August nicht wie eine lebhafte Erinnerung an längst bekannte Melodien und Worte vorkommen?

Aber nicht genug. Im Jahre 1870 folgte der Krieg mit Frankreich, und

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[1] I[gnaz] Auer: Sedanfeier und Sozialdemokratie. Rede, gehalten in einer Versammlung zu Berlin am 4. September 1895, Berlin 1895, S. 12 f.