Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 56

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stellt war! Und während die bürgerliche Gesellschaft, geschändet und entehrt durch die blutige Orgie, ihrem Verhängnis weiter entgegenrennt, muß und wird das Internationale Proletariat sich aufraffen und die goldenen Schätze heben, die es im wilden Strudel des Weltkrieges in einem Augenblick der Verwirrung und der Schwäche hat auf den Grund sinken lassen.

Eines ist sicher: Der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein törichter Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, daß wir den Krieg nur zu überdauern brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet, um nachher munter wieder in alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat die Bedingungen unseres Kampfes verändert und uns selbst am meisten. Nicht als ob die Grundgesetze der kapitalistischen Entwicklung, der Krieg zwischen Kapital und Arbeit auf Tod und Leben eine Abweichung oder eine Milderung erfahren sollten. Schon jetzt, mitten im Kriege, fallen die Masken, und es grinsen uns die alten bekannten Züge an. Aber das Tempo der Entwicklung hat durch den Ausbruch des imperialistischen Vulkans einen gewaltigen Ruck erhalten, die Heftigkeit der Auseinandersetzungen im Schoße der Gesellschaft, die Größe der Aufgaben, die vor dem sozialistischen Proletariat in unmittelbarer Nähe ragen, sie lassen alles bisherige in der Geschichte der Arbeiterbewegung als sanftes Idyll erscheinen.

Geschichtlich war dieser Krieg berufen, die Sache des Proletariats gewaltig zu fördern. Bei Marx, der so viele historische Begebenheiten mit prophetischem Blick im Schoße der Zukunft entdeckt hat, findet sich in der Schrift über „Die Klassenkämpfe in Frankreich” die folgende merkwürdige Stelle:

„In Frankreich tut der Kleinbürger, was normalerweise der industrielle Bourgeois tun müßte (um die parlamentarischen Rechte kämpfen – R. L.) ; der Arbeiter tut, was normalerweise die Aufgabe des Kleinbürgers wäre (um die demokratische Republik kämpfen – R. L.), und die Aufgabe des Arbeiters, wer löst sie? Niemand. Sie wird nicht in Frankreich gelöst, sie wird in Frankreich proklamiert. Sie wird nirgendwo gelöst innerhalb der nationalen Wände, der Klassenkrieg innerhalb der französischen Gesellschaft schlägt um in einen Weltkrieg, worin sich die Nationen gegenübertreten. Die Lösung, sie beginnt erst in dem Augenblick, wo durch den Weltkrieg das Proletariat an die Spitze des Volks getrieben wird, das den Weltmarkt beherrscht, an die Spitze Englands. Die Revolution, die hier nicht ihr Ende, sondern ihren organisatorischen Anfang findet, ist keine kurzatmige Revolution. Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die

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