Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 533

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des Militärs selbst nur ein Symptom der allgemeinen Unreife der deutschen Revolution.

Das platte Land, aus dem ein großer Prozentsatz der Soldatenmasse stammt, ist nach wie vor noch von der Revolution kaum berührt. Berlin ist bislang noch vom Reich so gut wie isoliert. Zwar stehen in der Provinz die revolutionären Zentren – im Rheinland, an der Wasserkante, in Braunschweig, in Sachsen, in Württemberg – mit Leib und Seele auf seiten des Berliner Proletariats. Doch fehlt vorerst noch der unmittelbare Gleichschritt des Vormarsches, die direkte Gemeinsamkeit der Aktion, die den Vorstoß und die Schlagfertigkeit der Berliner Arbeiterschaft unvergleichlich wirksamer gestalten würde. Sodann sind – was nur der tiefere Zusammenhang jener politischen Unfertigkeiten der Revolution – die wirtschaftlichen Kämpfe, die eigentliche vulkanische Quelle, die den revolutionären Klassenkampf fortlaufend speist, erst im Anfangsstadium begriffen.

Aus alledem ergibt sich, daß auf einen endgültigen, dauernden Sieg in diesem Augenblick noch nicht gerechnet werden konnte. War deshalb der Kampf der letzten Woche ein „Fehler”? Ja, wenn es sich überhaupt um einen absichtlichen „Vorstoß”, um einen sogenannten „Putsch” handeln würde! Was war aber der Ausgangspunkt der letzten Kampfwoche? Wie in allen bisherigen Fällen, wie am 6. Dezember[1], wie am 24. Dezember[2] – eine brutale Provokation der Regierung! Wie früher das Blutbad gegen wehrlose Demonstranten in der Chausseestraße, wie die Metzelei gegen die Matrosen, so war diesmal der Anschlag gegen das Berliner Polizeipräsidium[3] die Ursache aller weiteren Ereignisse. Die Revolution operiert eben nicht aus freien Stücken, in einem offenen Blachfeld, nach einem schlau von „Strategen” zurechtgelegten Plan. Ihre Gegner haben auch die Initiative, ja, sie üben sie in der Regel viel mehr als die Revolution selbst aus.

Vor die Tatsache der frechen Provokation seitens der Ebert–Scheidemann gestellt, war die revolutionäre Arbeiterschaft gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Ja, es war Ehrensache der Revolution, sofort den Angriff mit aller Energie abzuschlagen, sollten nicht die Gegenrevolution zu weiterem Vordringen ermuntert, die revolutionären Reihen des Proletariats, der moralische Kredit der deutschen Revolution in der Internationale erschüttert werden.

Der sofortige Widerstand kam auch spontan mit einer so selbstver-

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[1] Organisiert vom sozialdemokratischen Berliner Stadtkommandanten Otto Wels, dem Generalkommando des Gardekorps, dem Kriegsministerium und dem Auswärtigen Amt, hatten am 6. Dezember 1918 von reaktionären Offizieren geführte Truppenteile einen Putschversuch unternommen. Sie verhafteten den Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, besetzten die Redaktion der „Roten Fahne, riefen Friedrich Ebert zum Präsidenten aus und schossen in der Chausseestraße in eine unbewaffnete Demonstration, wobei sie 14 Personen töteten und weitere 30 verwundeten.

[2] Am 24. Dezember 1918 hatten konterrevolutionäre Truppen unter Führung von Generalleutnant Arnold Lequis die Volksmarinedivision in Schloß und Marstall in Berlin mit Artillerieunterstützung angegriffen. Dabei fanden 11 Matrosen und 56 Soldaten der Lequis-Truppen den Tod. Die kämpfenden Matrosen erhielten Waffenhilfe durch die Berliner Arbeiter. Dadurch brach der Angriff zusammen.

[3] Am 4. Januar 1919 war der Berliner Polizeipräsident Emil Eichhorn, der dem linken Flügel der USPD angehörte, von der sozialdemokratischen Regierung als abgesetzt erklärt worden. Damit sollten die revolutionären Arbeiter und Soldaten Berlins zu unvorbereiteten bewaffneten Kämpfen provoziert werden. Die revolutionären Obleute, die Berliner Leitung der USPD und die Zentrale der KPD riefen gemeinsam die Werktätigen und Soldaten zu Aktionen für die Rücknahme der Absetzung Emil Eichhorns, für die Entwaffnung der Konterrevolution und die Bewaffnung der Arbeiter auf. Hunderttausende demonstrierten am 5. Januar in Berlin, formierten sich in der Siegesallee und marschierten zum Polizeipräsidium.