Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 532

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lagen vor den Franzosen, Engländern und Amerikanern? „Spartakus” heißt der Feind und Berlin der Ort, wo unsere Offiziere zu siegen verstehen, Noske, der „Arbeiter”, heißt der General, der Siege zu organisieren weiß, wo Ludendorff versagt hat.

Wer denkt da nicht an den Siegesrausch der „Ordnungs”meute in Paris, an das Bacchanal der Bourgeoisie auf den Leichen der Kommunekämpfer, derselben. Bourgeoisie, die eben erst vor den Preußen erbärmlich kapituliert und die Hauptstadt des Landes dem äußeren Feinde preisgegeben hatte, um selbst, wie die letzten Feiglinge, Fersengeld zu geben! Aber gegen die schlechtbewaffneten, ausgehungerten Pariser Proletarier, gegen ihre wehrlosen Weiber und Kinder – wie flammte da wieder der Mannesmut der Bourgeoissöhnchen, der „goldenen Jugend”, der Offiziere auf! Wie tobte sich da die Tapferkeit der vor dem äußeren Feind zusammengeknickten Marssöhne in bestialischen Grausamkeiten an Wehrlosen, an Gefangenen, an Gefallenen aus!

„Ordnung herrscht in Warschau!” „Ordnung herrscht in Paris!” „Ordnung herrscht in Berlin!” So laufen die Meldungen der Hüter der „Ordnung” jedes halbe Jahrhundert von einem Zentrum des weltgeschichtlichen Kampfes zum andern. Und die frohlockenden „Sieger” merken nicht, daß eine „Ordnung”, die periodisch durch blutige Metzeleien aufrechterhalten werden muß, unaufhaltsam ihrem historischen Geschick, ihrem Untergang entgegengeht. Was war diese letzte „Spartakuswoche” in Berlin, was hat sie gebracht, was lehrt sie uns? Noch mitten im Kampf, mitten im Siegesgeheul der Gegenrevolution müssen sich die revolutionären Proletarier über das Geschehene Rechenschaft ablegen, die Vorgänge und ihre Ergebnisse am großen historischen Maßstab messen. Die Revolution hat keine Zeit zu verlieren, sie stürmt weiter – über noch offene Gräber, über „Siege” und „Niederlagen” hinweg – ihren großen Zielen entgegen. Ihren Richtlinien, ihren Wegen mit Bewußtsein zu folgen ist die erste Aufgabe der Kämpfer für den Internationalen Sozialismus.

War ein endgültiger Sieg des revolutionären Proletariats in dieser Auseinandersetzung, war der Sturz der Ebert–Scheidemann und eine Auf richtung der sozialistischen Diktatur zu erwarten? Gewiß nicht, wenn man alle Momente reiflich in Betracht zieht, die über die Frage entscheiden. Die wunde Stelle der revolutionären Sache in diesem Augenblick, die politische Unreife der Soldatenmasse, die sich immer noch von ihren Offizieren zu volksfeindlichen gegenrevolutionären Zwecken mißbrauchen läßt, ist allein schon ein Beweis dafür, daß ein dauernder Sieg der Revolution in diesem Zusammenstoß nicht möglich war. Andererseits ist diese Unreife

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