Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 462

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Nicht umsonst hat August Bebel zum Schluß seiner berühmten Rede auf dem Dresdner Parteitag gerufen: „Ich bin und bleibe ein Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft!”[1]

Es ist der letzte große Kampf, in dem es sich um Sein oder Nichtsein der Ausbeutung, um eine Wende der Menschheitsgeschichte handelt, ein Kampf, in dem es keine Ausflucht, kein Kompromiß, keine Gnade geben kann.

Und dieser letzte Kampf, der an Gewaltigkeit der Aufgabe alles Dagewesene übertrifft, soll fertigbringen, was kein Klassenkampf, keine Revolution je fertiggebracht: das Todesringen zweier Welten in ein lindes Säuseln parlamentarischer Redeschlachten und Majoritätsbeschlüsse auflösen!

Auch der Parlamentarismus war eine Arena des Klassenkampf es für das Proletariat, solange der ruhige Alltag der bürgerlichen Gesellschaft dauerte: Er war die Tribüne, von der aus die Massen um die Fahne des Sozialismus gesammelt, für den Kampf geschult werden konnten. Heute stehen wir mitten in der proletarischen Revolution, und es gilt heute, an den Baum der kapitalistischen Ausbeutung selbst die Axt zu legen. Der bürgerliche Parlamentarismus hat, wie die bürgerliche Klassenherrschaft, deren vornehmstes politisches Ziel er ist, sein Daseinsrecht verwirkt. Jetzt tritt der Klassenkampf in seiner unverhüllten, nackten Gestalt in die Schranken. Kapital und Arbeit haben sich nichts mehr zu sagen, sie haben einander nur mit eiserner Umarmung zu packen und im Endkampf zu entscheiden, wer zu Boden geworfen wird.

Das Lassallesche Wort gilt heute mehr denn je: Die revolutionäre Tat ist stets, auszusprechen das, was ist. Und das, was ist, heißt: hie Arbeit –hie Kapital! Keine Heuchelei der gütlichen Verhandlung, wo es auf Tod und Leben geht, keine Siege der Gemeinsamkeit, wo ein Hüben, ein Drüben nur gilt. Klar, offen, ehrlich und durch Klarheit und Ehrlichkeit stark, muß das Proletariat, als Klasse konstituiert, die ganze politische Macht in seiner Hand sammeln.

„Politische Gleichberechtigung, Demokratie!” sangen uns jahrzehntelang die großen und kleinen Propheten der bürgerlichen Klassenherrschaft vor.

Und „politische Gleichberechtigung, Demokratie!” singen ihnen heute wie ein Echo die Handlanger der Bourgeoisie, die Scheidemänner, nach.

Jawohl, sie soll eben erst verwirklicht werden. Denn das Wort „politische Gleichberechtigung” wird in dem Augenblick erst Fleisch, wo die

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[1] „Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und dieser Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben, und sie, wenn ich kann, beseitigen.” (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Dresden vom 13. bis 20. September 1903, Berlin 1903, S. 313.)