Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 41

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die Sozialimperialisten ins Feld. Ihnen will er durch seine historische Perspektive das Wasser abgraben. Zugleich unterläßt er nicht, um sich seinen „zentralen” Punkt zu wahren, gegen die „äußerste Linke” ein paar schneidige Lufthiebe zu führen. Er denunziert sie nämlich als Leute, die erstens streben, den Parlamentarismus durch den „Massenstreik” zu „ersetzen”[1], zweitens als Leute, die dem Imperialismus den Sozialismus entgegensetzen wollen, „das heißt nicht bloß seine Propagierung, die wir seit einem halben Jahrhundert allen Formen der kapitalistischen Herrschaft entgegensetzen, sondern seine sofortige Durchführung” (S. 17). Kautsky würde wohl in nicht geringe Verlegenheit geraten, wenn ihn jemand in aller Höflichkeit am Kragen packen und ersuchen würde, doch gefälligst genau anzugeben, wer, wo, wann in der Partei den Parlamentarismus durch den Massenstreik „ersetzen” wollte, oder den Kauz zu nennen, der eine „sofortige Durchführung” des Sozialismus fordert.

Wie Kautsky als erster den Hetzruf gegen die „Quertreiber” ausstieß, indem er sofort nach Ausbruch des Krieges gegen die „Eigenbrötelei” und die „Kritik” als die ärgsten Verbrechen warnte (Neue Zeit vom 21. August 1914, S. 846), so leistet er auch jetzt der Rechten treffliche Dienste, indem er von den Ansichten und Absichten der „Quertreiber” mit freier Phantasie ein abgeschmacktes Zerrbild verfertigt.

Aber noch mehr ist seine ganze Theorie, die er jetzt in der Broschüre wie in der „Neuen Zeit” vertritt, geeignet, den Sozialimperialisten, die er bekämpfen will, das Werk zu erleichtern, indem sie in den Parteien die größte Verwirrung in bezug auf die historische Situation, ihre wahren Tendenzen und die Aufgaben der Arbeiterklasse verbreitet. Und deshalb sind diese breiten schillernden theoretischen Spintisierereien gefährlicher als die „Neuorientierungen” der Heine, Südekum, Haenisch und wie sie alle heißen. Während diese durch ihr krasses Auftreten vor sich selbst genügend warnen, sind die Kautskyschen Theorien wohl fähig, zwar nicht dem Militarismus und Imperialismus, aber der Sozialdemokratie „den Stachel” zu nehmen.

Übrigens schließt Kautsky seine Broschüre mit einer hübschen Wendung. Der imperialistischen „Methode” müßten wir „entschiedene Bekämpfung’ angedeihen lassen. „Je gewaltiger der Widerstand der Arbeiter, unüberwindlicher die Schranken, die dem Kapital hier in den Weg

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[1] „Aber dieser Ersatz stellt sich bei näherer Einsicht stets als eine Form der primitiven Demokratie heraus. Das gilt auch von der direkten Gesetzgebung durchs Volk wie von ihrer energischeren Abart, dem Massenstreik” (S. 8). Der Massenstreik als „Abart” der direkten Gesetzgebung durch das Volk und als solche eine „Form” der Markgenossenschaft – heiliger Nepumuk, ist das ein Wortgebimmel! – [Fußnote im Original]