Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 408

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in der Minderheit ist, erklärt sie als wohldisziplinierte parlamentarische Partei mit einem Seufzer: Nichts zu machen! Wir sehen, daß wir überstimmt worden sind. Wohlan, wir fügen uns und übergeben unsere gesamten Ländereien, Fabriken, Bergwerke, alle unsere feuersicheren Kassen und schönen Profite den Arbeitern.

Wahrhaftig, das Geschlecht der Lamartine, Garnier, Pagès, Ledru-Rollin, der kleinbürgerlichen Illusionisten und Schwätzer von Anno 1848 ist nicht ausgestorben; es steht – ohne Glanz und Talent und Reiz der Neuheit – in langweilig-pedantisch-gelehrter deutscher Ausgabe in den Kautsky, Hilferding, Haase wieder auf.

Diese tiefgründigen Marxisten haben das Abc des Sozialismus vergessen.

Sie haben vergessen, daß die Bourgeoisie nicht eine parlamentarische Partei, sondern eine herrschende Klasse ist, die sich im Besitze sämtlicher ökonomischer und sozialer Machtmittel befindet.

Diese Herren junker und Kapitalisten sind nur so lange ruhig, wie die revolutionäre Regierung sich damit begnügt, kleine Schönheitspflästerchen auf das kapitalistische Lohnverhältnis zu kleben. Sie sind nur brav, solange die Revolution brav ist, d. h. solange der Lebensnerv, die Schlagader der bürgerlichen Klassenherrschaft: das kapitalistische Privateigentum, das Lohnverhältnis, der Profit, unbehelligt bleibt.

Geht es dem Profit an den Kragen, wird das Privateigentum ans Messer geliefert, dann hört die Gemütlichkeit auf.

Das heutige Idyll, wo Wölfe und Schafe, Tiger und Lämmer wie in der Arche Noahs friedlich nebeneinander grasen, dauert auf die Minute so lange, bis es mit dem Sozialismus ernst zu werden beginnt.

Sobald die famose Nationalversammlung wirklich beschließt, den Sozialismus voll und ganz zu verwirklichen, die Kapitalsherrschaft mit Stumpf und Stiel auszurotten, beginnt auch der Kampf. Wenn die Bourgeoisie ins Herz getroffen wird – und ihr Herz schlägt im Kassenschrank –, wird sie auf Tod und Leben um ihre Herrschaft ringen, tausend offene und versteckte Widerstände gegen die sozialistischen Maßnahmen auftürmen.

All das ist unvermeidlich. All das muß durchgefochten, abgewehrt, niedergekämpft werden – ob mit oder ohne Nationalversammlung. Der „Bürgerkrieg”, den man aus der Revolution mit ängstlicher Sorge zu verbannen sucht, läßt sich nicht verbannen. Denn Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name für Klassenkampf, und der Gedanke, den Sozialismus ohne Klassenkampf, durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluß einführen zu können, ist eine lächerliche kleinbürgerliche Illusion.

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