Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 405

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Bei Hungerkost, in den kaum geheizten Zellen vor Kälte zitternd, von den vierjährigen Schrecken des Krieges seelisch niedergedrückt, warteten diese Stiefkinder der Gesellschaft auf Gnade, auf Linderung.

Sie warteten umsonst. Der letzte Hohenzoller hatte die Elenden als guter Landesvater über den Sorgen des Völkergemetzels und der Kronenverteilung vergessen. Seit der Eroberung Lüttichs gab es während der vier Jahre keine nennenswerte Amnestie mehr, nicht einmal zum offiziellen Feiertag der deutschen Sklaven, zum „Kaisergeburtstag”.

Nun muß die proletarische Revolution durch einen kleinen Strahl ihrer Gnade das düstere Dasein in den Gefängnissen und Zuchthäusern erhellen, die drakonischen Strafen abkürzen, das barbarische Disziplinarsystem – Kettenarrest, Prügelstrafe!! – ausrotten, die Behandlung, die ärztliche Versorgung, die Ernährungs- und Arbeitsverhältnisse nach Kräften aufbessern. Es ist eine Ehrenpflicht!

Das bestehende Strafsystem, das durch und durch den brutalen Klassengeist und die Barbarei des Kapitalismus atmet, muß einmal mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Eine grundsätzliche Reform des Strafvollzugs muß sofort in Angriff genommen werden. Ein völlig neues, dem Geiste des Sozialismus entsprechendes kann freilich erst auf dem Fundament einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Ordnung errichtet werden. Wurzeln doch Verbrechen wie Strafe stets in letzter Linie in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Gesellschaft. Doch eine einschneidende Maßnahme kann ohne weiteres durchgeführt werden: Die Todesstrafe, diese größte Schmach des stockreaktionären deutschen Strafkodex, muß sofort verschwinden! Weshalb zögert man damit in der Arbeiter- und Soldaten-Regierung? Ledebour, Barth, Däumig, hat der edle Beccaria, der vor zweihundert Jahren in allen zivilisierten Sprachen die Ruchlosigkeit der Todesstrafe denunzierte, für euch nicht gelebt? Ihr habt keine Zeit, habt tausend Sorgen, Schwierigkeiten, Aufgaben vor euch. Gewiß. Nehmt aber die Uhr in die Hand und seht, wieviel Zeit es erfordert, den Mund aufzutun und zu sagen: Die Todesstrafe ist abgeschafft! Oder wie, könnte es unter euch auch darüber eine lange Debatte mit Abstimmung geben? Würdet ihr euch etwa auch in diesem Falle in das lange Schleppkleid der Formalien, Kompetenzbedenken, Stempel- und Rubrikenfragen und dergleichen Plunder verwickeln?

Ach, wie ist diese deutsche Revolution – deutsch! Wie ist sie nüchtern, pedantisch, ohne Schwung, ohne Glanz, ohne Größe. Die vergessene Todesstrafe ist nur ein kleiner, einzelner Zug. Aber wie pflegt sich gerade in solchen kleinen Zügen der innere Geist des Ganzen zu verraten!

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