Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 394

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rettet nichts und verhindert nichts. Es beschleunigt und entfesselt nur die Revolution, der es vorbeugen sollte.

Dies ist auch der Sinn und dies das künftige Schicksal des Reformministeriums Prinz Max–Gröber–Scheidemann–Payer.[1]

Das Neue an dem historischen Spiel ist nur dies: Bisher gaben sich zu solcher Blitzableiterrolle in letzter Stunde nur die verwaschensten, lendenlahmsten Liberalen her: ein Necker, ein Martignac, ein Odilon Barrot. Nie hat sich ein entschiedener Radikaler, ein Führer der bürgerlichen Opposition, ein Republikaner zu dieser schoflen Rolle verstanden. Diesmal, zum ersten Mal in der Geschichte, gibt sich eine Partei, die sich sozialdemokratisch nennt, dazu her, bei sichtbar nahender Katastrophe der bestehenden Klassenherrschaft den Retter in der Not zu spielen, durch Scheinreformen und Scheinerneuerung dem herannahenden Volkssturm den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Massen im Zaum zu halten.

Schon ruft das politische Allerweltsmädchen „Vorwärts” den deutschen Arbeitern zu:

„Das Ziel einer deutschen Demokratie wird in kurzer Zeit auf dem Wege der friedlichen Umwälzung erreicht sein. Dann tritt die gewaltige Frage der weltwirtschaftlichen Neuordnung an uns heran, und der Sozialismus wird seinen Vormarsch antreten. Jetzt kommt alles darauf an, daß von dem, was uns bleibt, nichts überflüssig zerstört und vernichtet wird. Wir dürfen uns nicht von Gefühlen leiten lassen, sondern nur von der klaren Erkenntnis dessen, was unserem schwergeprüf ten Volk not tut. – – Not tut ihm die Vermeidung alles dessen, was nur zu altem Unglück neues Unglück fügt.”

Also die Sache ist klar. Die Demokratie ist erreicht, und zwar „auf friedlichem Wege”. Denn ein badischer Thronfolger als Reichskanzler und Scheidemann und Bauer auf dem Ministersessel – das ist „Demokratie”. Und dann beginnt der „Sozialismus”. Gröber rechts, Payer links, Scheidemann in der Mitte, ein Nationalliberaler hinten und Prinz Max an der Spitze – so wird der „Sozialismus seinen Vormarsch antreten”. Marx und Engels meinten im Kommunistischen Manifest in ihrer Naivität, die Befreiung der Arbeiterklasse müsse das Werk der Arbeiterklasse sein. Diese Toren! In Deutschland wird die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk

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[1] Am 3. Oktober 1918 war Prinz Max von Baden zum Reichskanzler ernannt worden. Er bildete eine sogenannte parlamentarische Regierung, die die revolutionäre Bewegung in Deutschland aufhalten, die imperialistische Klassenherrschaft retten und gegenüber der Entente verhandlungswürdig erscheinen sollte. Dieser Regierung gehörten u. a. der Führer der Zentrumsfraktion des Reichstags Adolf Gröber, als Vertreter der Fortschrittlichen Volkspartei Friedrich von Payer und als Vertreter der Sozialdemokratie Philipp Scheidemann und Gustav Bauer an.