Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 383

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ßen-Deutschlands – das ist eben eine weltfremde Phantasie, an die nur die Reventlows[1] in ihrem naiven Kannibalismus, in ihrer politischen Urwaldnacktheit oder aber nur die Lakaienseelen des Regierungssozialismus allen Ernstes glauben können. Die deutsche Säbelherrschaft über Europa ist ein Fiebertraum des Blutrausches, aus dem das Erwachen die europäische Revolution heißt.

Diesem Ziel und keinem andern taumeln die deutschen „Sieger” entgegen, wenn sie jetzt skrupellos Völker ausplündern, Länder ruinieren, Revolutionen erdrosseln, Nationen „befreien”, aus fremden Gebieten Riemen schneiden, blühende Fluren in grausige Einöden verwandeln und Menschenblut wie Jauche verspritzen.

Und wie würde es im Innern Deutschlands nach einem „deutschen Siege” aussehen? Deutschland in ein Kriegslager auf die Dauer verwandelt, um das besiegte Europa mit Blut und Eisen niederzuhalten, das heißt nichts anderes als der grinsende Staatsbankerott, der wirtschaftliche Ruin unter der Last der schwindelnden Kriegsschuld und der weiteren Rüstungen. In ihrem Gefolge die neunschwänzige Katze der indirekten Steuern und Monopole, das heißt also nach dem Kriegshungern aus vaterländischer Begeisterung das Friedenshungertuch als einziger Lohn für die Volksmasse!

So sieht das tausendjährige Reich des deutschen Imperialismus der Anarchie draußen dem Zusammenbruch im Innern so ähnlich wie ein Ei dem andern. Der „deutsche Sieg” – ob und wann er immer kommen mag – ist auf Sand gebaut; richtiger auf einen Orkan, er ist ein Kartenhaus, das nicht einen Tag ruhig bestehen kann, unter dem schon am andern Tage die Fundamente zu beben und zu bersten beginnen.

Der deutsche Arbeiter wird also – und sehr bald und erst recht nach einem „deutschen Siege” – zur Revolution greifen müssen, ob er sich noch so sträubt und totstellt und die Stimme der Zeit nicht hören will. Der Henker fremder Freiheit, der Gendarm der europäischen Reaktion wird gegen sein eigen Werk sehr bald rebellieren müssen, weil eherne geschichtliche Gesetze ihrer nicht spotten lassen. Mit eigenen Händen, durch eigenen Kadavergehorsam, durch eigene „Siege” im Dienste der Reaktion bereitet der deutsche Proletarier in diesen Tagen die europäische und folglich die deutsche Revolution vor.

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[1] Ernst Graf zu Reventlow, ehemaliger aktiver Seeoffizier, dann Schriftsteller und marinetechnischer Berater verschiedener bürgerlicher Zeitungen, trat während des ersten Weltkrieges für eine rücksichtslose Kriegführung mit alten Mitteln ein. Er war einer der Hauptverfechter eines annexionistischen Friedens.