Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 337

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/337

volution auf die Masse des Heeres, das dieselbe Forderung nach sofortigem Frieden erhob, und auf die Masse des Bauerntums, das die Agrarfrage, diesen Drehpunkt der Revolution schon seit 1905, in den Vordergrund schob. Sofortiger Frieden und Land – mit diesen beiden Zielen war die innere Spaltung der revolutionären Phalanx gegeben. Die Forderung des sofortigen Friedens setzte sich in schärfsten Widerspruch mit der imperialistischen Tendenz der liberalen Bourgeoisie, deren Wortführer Miljukow war[1]; die Landfrage war das Schreckgespenst zunächst für den anderen Flügel der Bourgeoisie: für das Landjunkertum, sodann aber, als Attentat auf das heilige Privateigentum überhaupt, ein wunder Punkt für die gesamten bürgerlichen Klassen.

So begann am andern Tage nach dem ersten Siege der Revolution ein innerer Kampf in ihrem Schoße um die beiden Brennpunkte: Frieden und Landfrage. Die liberale Bourgeoisie begann eine Taktik der Verschleppung und der Ausflüchte. Die Arbeitermassen, die Armee, das Bauerntum drängten immer ungestümer. Es unterliegt keinem Zweifel, daß mit der Frage des Friedens und der Landfrage auch die Schicksale selbst der politischen Demokratie der Republik verknüpft waren. Die bürgerlichen Klassen, die, von der ersten Sturmwelle der Revolution überspült, sich bis zur republikanischen Staatsform hatten mit fortreißen lassen, begannen alsbald nach rückwärts Stützpunkte zu suchen und im stillen die Konterrevolution zu organisieren. Der Kaledinsche Kosakenfeldzug gegen Petersburg[2] hat dieser Tendenz deutlichen Ausdruck gegeben. Wäre dieser Vorstoß von Erfolg gekrönt gewesen, dann war nicht nur die Friedens- und die Agrarfrage, sondern auch das Schicksal der Demokratie, der Republik selbst besiegelt. Militärdiktatur mit einer Schreckensherrschaft gegen das Proletariat und dann Rückkehr zur Monarchie wären die unausbleibliche Folge [gewesen].

Daran kann man das Utopische und im Kern Reaktionäre der Taktik ermessen, von der sich die russischen Sozialisten der Kautskyschen Richtung, die Menschewiki, leiten ließen.

Es ist geradezu erstaunlich, zu beobachten, wie dieser fleißige Mann[3] in den vier Jahren des Weltkrieges durch seine unermüdliche Schreibarbeit

Nächste Seite »



[1] Der Führer der Kadetten P. N. Miljukow war Außenminister der Provisorischen Regierung.

[2] Der Kosakenataman A. M. Kalcdin hatte die Donkosaken mobilisiert und die konterrevolutionären Truppen unterstützt, die im August 1917 unter Führung L. G. Kornilows auf Petrograd vorrückten, um die Revolution niederzuwerfen und eine Militärdiktatur zu errichten. Geführt von den Bolschewiki, stellten sich die Arbeiter und Soldaten den Konterrevolutionären entgegen und bereiteten ihnen eine totale Niederlage.

[3] Gemeint ist Karl Kautsky.