Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 264

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/264

So ist die Frage des Friedens in Wirklichkeit an die ungehindertste, radikalste Entfaltung der russischen Revolution, diese aber an die revolutionäre Parallelaktion für den Frieden seitens sowohl des französischen, englischen und italienischen wie namentlich des deutschen Proletariats gebunden.

Wird das Internationale Proletariat die Auseinandersetzung mit der europäischen Bourgeoisie auf die russischen Arbeiter allein abwälzen, sie dem imperialistischen Furor der englisch-französisch-italienischen, der lauernden und drohenden Reaktion der deutschen Bourgeoisie preisgeben? Dies ist im Moment die wirkliche Formulierung der Friedensfrage.

Der Konflikt zwischen der Internationalen Bourgeoisie und dem russischen Proletariat läßt so die letzte Phase der Weltlage als Dilemma erscheinen: entweder Weltkrieg bis zum allgemeinen Weißbluten oder proletarische Revolution – Imperialismus oder Sozialismus.

Und hier stehen wir wieder vor unserer alten verratenen Losung der Revolution und des Sozialismus, die wir tausendmal in der Agitation wiederholt und mit der wir verabsäumt haben, Ernst zu machen, als sie mit dem Ausbruch des Weltkrieges zum Fleisch werden sollte. Sie ergab sich dann wieder logisch für jeden denkenden Sozialisten aus der langen und hoffnungslosen Dauer des Völkermordes. Sie ergab sich noch einmal schon handgreiflich in negativer Form aus dem kläglichen Fiasko der diplomatischen Verständigungsversuche und des bürgerlichen Pazifismus. Heute steht sie wieder positiv vor uns, sie ist Fleisch geworden in dem Werk, den Schicksalen und der Zukunft der russischen Revolution. Trotz Verrat, trotz allgemeinem Versagen der Arbeitermassen, trotz Zerfall der sozialistischen Internationale bricht sich das große historische Gesetz Bahn – wie ein Bergwasser, dem man das gewohnte Bett verschüttet hat und das, in die Tiefe gefallen, an unerwarteter Stelle wieder in hellem Strahl an den Tag springt.

Alter Maulwurf Geschichte, du hast brav gearbeitet! In diesem Moment ertönt über dem Internationalen, über dem deutschen Proletariat wieder das Losungswort, der Mahnruf, wie ihn nur die große Stunde einer Weltwende bringen kann: Imperialismus oder Sozialismus! Krieg oder Revolution! Ein Drittes gibt es nicht!

Spartacus, Nr. 5 vom Mai 1917.

In: Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 322-329.

Nächste Seite »