Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 256

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rer. – Wie zwei mal zwei vier ist, so ließ sich haarklein nachweisen, daß in Rußland heute wohl Verzweiflungsausbrüche und Anarchie möglich, eine moderne, zielklare, ideal gerichtete politische Revolution hingegen platterdings undenkbar war. Und nun? Alles Lügen, Worte, Geschwätz! Die Revolution hat sich legitimiert auf dem einzigen Wege, wie sich in der Geschichte jede notwendige Bewegung legitimiert: durch Kampf und Sieg.

Zwei Züge überraschen vornehmlich die europäische Öffentlichkeit in den russischen Ereignissen: ihr rascher Siegeszug und der Radikalismus, den sie schon vom ersten Moment zeigen. Hat sich doch bereits die aus lauter lendenlahmen bürgerlichen Elementen bestehende Provisorische Regierung für die demokratische Republik ausgesprochen! Aber diese beiden Züge können nur den oberflächlichen Blick des Philisters frappieren, der nie die tieferen historischen Zusammenhänge zwischen heute und gestern bemerkt. Wer hingegen im Auge behält, daß die Revolution vom März 1917 nur eine durch die Konterrevolution und dann durch den Weltkrieg aufgehaltene Fortsetzung der Revolution von 1905 bis 1907 ist, für den kann weder ihr rascher Sieg noch ihr entschlossenes Vorgehen eine Überraschung sein. Tritt sie doch jetzt einfach als reife Frucht der Mühen, Kämpfe und Opfer der zehn letzten Jahre aus dem Schoße der russischen Gesellschaft hervor und ist so ein tröstlicher Beweis, daß nicht ein Tropfen Blutes, der in dem furchtbaren Jahrzehnt von unseren russischen Brüdern für die Sache der Freiheit vergossen worden, daß nicht ein Tag der Kerker- und Zuchthauspein, die von so vielen russischen Genossen erduldet worden, vergeblich geopfert war. Die Freiheit, die sie jetzt genießen, sie haben sie reichlich verdient und reichlich bezahlt.

Der frappante Radikalismus der russischen Liberalen, die sich plötzlich vom verwaschensten konstitutionellen Programm zur Republik gemausert haben, sowie weiter die Zustimmung der russischen Nationalliberalen, ja bis fast zu den Konservativen zu diesem heftigen Ruck nach links ist an sich wiederum eine Überraschung nur für den Philister, dem die im parlamentarischen Alltag geprägten Losungen, Programme und Physiognomien als ewige Wahrheiten gelten. Der geschichtlich Gebildete hingegen sieht hier bloß lächelnd eine getreue Wiederholung der Erfahrungen aus der englischen, französischen und der Märzrevolution: daß nämlich in Sturmzeiten die Haltung sämtlicher Klassen und Parteien von der Macht und der Haltung der radikalsten, d. h. der Arbeiterklasse abhängt. Je kühner diese ihre Ziele steckt und je mehr sie bereit ist, ihre ganze Macht hinter diese Ziele zu setzen, um so weiter nach links rückt die ganze bürgerliche Phalanx ihr nach.

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