Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 254

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mungen im Abwerfen politischer Scham und Würde hat tiefe soziale Ursachen. Unser ehemaliges Lamento über den „Verrat” des bürgerlichen Liberalismus traf doch nur zur Hälfte den Nagel auf den Kopf. Die Nationalliberalen wie die Freisinnigen verrieten bloß die politischen Prinzipien ihres Programms, nie die materiellen Interessen ihrer Klasse. Es war nicht ihre Schuld, es war ihr historisches Pech, daß diese Interessen mit jenen Prinzipien in Widerspruch geraten waren. Und sosehr sich die Fraktion „Drehscheibe” drehen mochte, die Achse ihrer Drehungen blieben immer die materiellen Interessen des von ihr vertretenen Kapitals, und diese gaben den Nationalliberalen einen wenn noch so flachen Grund unter den Füßen. Die materiellen Interessen des Proletariats können nie mit seinen politischen Grundsätzen in Widerspruch geraten; wer diese verrät, hat auch jene glatt preisgegeben. Mit ihrem blanken Verrat an der Arbeiterklasse haben sich die Scheidemänner völlig des eigenen Bodens enthoben. Sie laufen nur noch als Tellerlecker der Bourgeoisie, als Marketender des Imperialismus hinter dem bürgerlichen Lager einher und sind glücklich, wenn ihnen gelegentlich von dort wie einem gelehrigen Pudel zugerufen wird: Scheidemann, apporte!

Spartacus, Nr. 4 vom April 1917.

In: Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 316-318.

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