Rußland und dem durch „deutsche Fäuste” befreiten „unabhängigen Polen”[1], die Angst vor allem vor dem schlechten russischen Beispiel, das die guten Sitten des deutschen Proletariats verderben könnte, guckt wie ein Pferdefuß allenthalben heraus. Und im Mosseschen Freisinnsblatt sucht eine Leuchte des deutschen Liberalismus ganz naiv den tröstlichen und beruhigenden Beweis zu erbringen, daß die famose „Befreiung Rußlands”, die das hehre Ziel des Krieges war, doch an inneren Schwierigkeiten zerschellen und in der Anarchie untergehen werde.
Aber auch das deutsche Proletariat ist durch die Vorgänge in Rußland vor eine Ehrenfrage und vor eine Schicksalsfrage gestellt.
Solange in allen kriegführenden Ländern Kirchhofsstille und Kadavergehorsam herrschen, ist das Versagen des Proletariats eine Internationale solidarische Schuld, ein gemeinsames Weltunglück, das sich auf alle Seiten, wenn auch nicht in gleichem Maße, verteilt. Sobald jedoch in Rußland das Proletariat den „Burgfrieden” durch offene Revolution aufgesagt hat, fällt ihm das deutsche Proletariat, indem es die Kriegsaktion ruhig weiter unterstützt, nunmehr direkt in den Rücken. Jetzt wirken die im Osten fechtenden deutschen Truppen nicht mehr gegen den „Zarismus”, sondern gegen die Revolution. Und sobald das russische Proletariat bei sich zu Hause den Kampf für den Frieden aufrollt – dies ist sicher bereits begonnen und wird mit jedem Tage mehr der Fall sein –, verwandelt sich das Verharren des deutschen Proletariats in der Haltung eines gehorsamen Kanonenfutters in offenen Verrat an den russischen Brüdern.
„In Rußland fiel der erste Schuß.” Rußland befreit sich selbst. Wer wird Deutschland von Säbeldiktatur, ostelbischer Reaktion und imperialistischem Völkermord befreien?
Spartacus, Nr. 4 vom April 1917.
In: Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 302-305.
[1] Die Mittelmächte hatten am 5. November 1916 das Königreich Polen proklamiert. Aus dem bisherigen Russisch-Polen sollte ein „selbständiger” Staat mit erblicher Monarchie und konstitutioneller Verfassung gebildet und eng mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbunden werden. Die deutsche und die österreichisch-ungarische Regierung hofften, dadurch einen Bundesgenossen zu gewinnen, dessen Menschen- und Materialreserven sie ihrer Kriegführung dienstbar machen konnten.